Kunst mit Pornographie?
Anmerkungen zum Thema am Beispiel eines Bildes von David Salle
„Die Pornographie beruht auf einer Abstraktion des menschlichen Verkehrs, die das Selbst auf seine äußerlichen Elemente reduziert"1
1. Drei Ansichten eines nur mit einem verrutschten Hemd und Stöckelschuhen bekleideten Frauenkörpers bilden, zu einem triptychonartigen Fries arrangiert, die untere Hälfte eines fast 5 m breiten Monumentalgemäldes des Amerikaners David Salle. Der etwa lebensgroße Körper der Frau, ihre aufreizend spärliche Kleidung und auch die auf allen drei Tafeln identische, farblose Nüchternheit der Grisailletechnik geben die Figuren als in des Wortes zweifacher Bedeutung „artistische" Varianten ein- und desselben Modells zu erkennen. Lasziv und verkrampft gleichermaßen präsentiert sich die Frau auf einem Tisch, rekelt, renkt und spreizt sich. Mit Kunstgriffen hat der Maler nicht gespart, um unmißverständlich den Eindruck einer auf dem Präsentierteller ausgestellten Ware zu vermitteln: Die mit akademischer Strenge zentralperspektivisch ausgerichteten Fluchtlinien ebenso wie der harte, gezielte Lichteinfall lenken den Blick direkt auf den entblößten Unterkörper der Frau, um kurz vor den inkriminierten „private parts“ dezent im diffusen Halbschatten innezuhalten. Der sich in Leserichtung leicht zum Zentrum hin verschiebende Betrachterstandpunkt läßt an Standfotos aus einem (Porno-)Film denken, in dem die Kamera langsam an den verschiedenen Posen des dargebotenen Körper vorbeizieht; die schlaglichtartige Bestrahlung bestätigt diese Assoziation. Während die linke, im juristischen Sinne „unpornographischste“ Darstellung die Frau mit geschlossenen Beinen und halb zur Tischplatte hingewendet zeigt, gibt die mittlere unmittelbar den Blick frei zwischen ihre Schenkel In Anlehnung an die Tradition des Triptychons hält diese Tafel den „Höhepunkt“ der Abfolge bereit: zwischen einladend emporgereckten Beinen hindurch wird das betrachtende Auge direkt auf das Geschlecht der Frau gelenkt; das ganze Arrangement wirkt dabei so steril, daß der Voyeur sich unvermutet in der Rolle des Gynäkologen wiederfindet. Das Gesicht der Frau ist derweil ganz hinter der Rundung ihres Schenkels verschwunden - eine „femme 100 tete(s)".2 In dem abschließenden rechten Bild scheint eine Starre eingetreten zu sein: Wie der Leichnam auf Mantegnas berühmter „Beweinung Christi" liegt die Figur in extremer Verkürzung vor uns; anstelle der Stigmata bietet sich der Anblick ihrer Stöckelabsätze.
In der oberen Hälfte des Bildes leuchten drei ovale Felder fröhlich-bunt in den Primärfarben, so, als solle hier um jeden Preis von dem anstößigen Tatbestand des unteren Bildteils abgelenkt werden. Vor diesen Farbflächen hat Salle diverse Gegenstände aufgereiht: Links neben zwei Giacometti-Plastiken - unverkennbar handelt es sich um die Porträtbüste „Annette“ von 1%1 und den „Stehenden Akt II“ von 1953 - erscheinen zwei trichterförmige Gebilde, deren Funktion - als Lampe, Eieruhr? - nicht deutlich wird. Am linken Rand sieht man die Gestalt eines nur in Umrissen angedeuteten Kindes - der „Schuhputzjunge“ aus einem Bild von Antoine Watteau. Die Ähnlichkeit des einen Trichtergebildes mit einem Stundenglas und der sensenförmige Griff des anderen suggerieren verschlüsselte Todessymbolik, während die Kunst-Zitate Verehrung ebenso wie Verachtung für das kulturelle Erbe zu signalisieren scheinen. Die - scheinbar? - zufällige Anordnung der Elemente und ihrer Bedeutung läßt den Betrachter bewußt im Unklaren über eine eventuelle immanente Bildlogik - wie auch der Bildtitel „Fooling with your Hair“ ganz nonchalant jede Verbindung mit dem Dargestellten leugnet und möglichen Aufschluß über den Gesamzusammenhang verweigert. Einzig der Kontrastreichtum zwischen den beiden Bild“etagen“ - zwischen der Tristesse des pseudo-dokumentarischen Grau-in-Grau unten und der kindlich-naiven Buntheit oben; zwischen extremer Raumtiefe und folienhafter Zweidimensionalität; schließlich: zwischen verspieltem Formalismus und krassem sexuellem Realismus - fällt mit aller Deutlichkeit ins Auge. Die Kontraste scheinen eine formale Lösung anzuzeigen, so, als sei der weibliche Akt Teil eines übergeordneten Formproblems. Wie das Kabinettstückchen eines Formalästheten klingt denn auch der Interpretationsversuch eines amerikanischen Autors, der das Bild mit einem „kühn orchestrierten Werk für zwei Hände“ vergleicht, „wobei die Linke einen kräftigen Chiaroscuro-Rhythmus beibehält, während die rechte Hand sich in einer Mischung von Notenkaskaden und leicht schrägen Anschlägen über die Tastatur bewegt“3; mit Links wird Weiblichkeit pornographisch inszeniert, mit Rechts der postmoderne Überbau „aufgesetzt". Lakonisch aber durchaus korrekt bemerkt Salle selbst hierzu: „Nackte Frauen in Bildern sind nicht dasselbe wie nackte Frauen in Wirklichkeit". Im Prinzip trifft genau dies auch auf die Pornographie und ihre Sexphantasie-Produktion zu, aber Salle lehnt die Anwendung dieses Begriffs auf seine Arbeiten entschieden ab: „Die Besonderheit der Posen in meinen Bildern ist tatsächlich sehr verschieden von den Posen, die man in der Pornographie findet".4
David Salle, Jahrgang 1952, gilt als einer der erfolgreichsten unter den jüngeren US-Künstlern; seine Gemälde werden inzwischen in den Museen der Welt ausgestellt, nachdem sie sich zu Beginn der bilderhungrigen 80er Jahre die Top-Plätze der internationalen Kunst-Charts nur mit den Bildern von Julian Schnabel teilen mußten. Seine und Schnabels Arbeiten sprengten damals radikal die bislang bestehenden Preisgrenzen für Werke von Nachwuchs-Künstlern. Salles geradezu obsessive „Verarbeitung“ des nackten, pornographisch dargebotenen Frauenkörpers kennzeichnet als prägnantes Merkmal einen Großteil seines Werks - ebenso wie die unterkühlte Ironie, mit der er Phänomene des Medienalltags und kunsthistorische Zitate versatzstückartig zu beziehungslosem Nebeneinander kombiniert. Von amerikanischen Feministinnen ist ihm wiederholt „die Degradierung der Frau zum Lustobjekt“ vorgeworfen worden, „ihre Verkümmerung zur Ware, dem Voyeur exzessiv feilgeboten“.5 Und tatsächlich stellen Salles scham- und schonungslose Präsentationen der „Ware Weib“ einen bemerkenswerten Grenzfall dar auf der Gratwanderung zwischen Kunst und Pornographie.
2. Vergegenwärtigt man sich - wie diverse Aufsätze in dem vorliegenden Heft dies tun - das komplexe, vielschichtige und immer noch weitgehend ungeklärte Verhältnis zwischen Kunst und Pornographie, dann stößt man immer wieder auf - historische und aktuelle - Grenzfälle, die nach begrifflicher Klärung verlangen. Sogleich muß man dann allerdings feststellen, daß das Angebot an kunstwissenschaftlichen Beiträgen zum Thema eher mager ist und sich zumeist auf die Beschäftigung mit ausgewählten Einzelbeispielen beschränkt. Zwar: daß sich Sexualität auf mannigfache Weise Ausdruck verschafft hat in Werken der bildenden Kunst aller Kulturen und Epochen, liegt in der Natur der Sache und wird von der Kunstgeschichte in sämtlichen nur denkbaren Varianten durchgespielt und vorgeführt. Und daß es fast immer das weibliche Geschlecht war (und ist)1 auf dessen Kosten sich männliche Sexualität in Kunstwerken artikuliert, liegt in der Natur einer von Männern dominierten Gesellschaft, die Frauen kaum Möglichkeiten ließ für die ästhetische Entfaltung und Ausformung ihrer eigenen Sexualität. Doch so alt die Liaßon zwischen Kunst und Sex auch immer sein mag – „Anfänge sexueller Darstellungen können wir für einen Zeitraum von 80.000 bis 8.000 Jahren v.u.Z zurückverfolgen“6 - eine wissenschaftliche, kritische und frauenorientierte Auseinandersetzung mit der Ästhetik des Sexuellen setzte erst spät ein und steht weit hinter den Bemühungen um andere Gebiete zurück; der Begriff der „pornographischen Kunst“ wird, anders als der der „pornographischen Literatur“ oder des „pornographischen Films“, im allgemeinen gemieden. Und selbst wenn man zugesteht, daß die Literatur und vor allem der Film der Pornographie als Darstellungsformen per se näher stehen als Malerei und Plastik, wirkt die Scheu der Kunsthistoriker vor der Beschmutzung des Kunstbegriffs doch eher spröde und betulich.
Eine grundlegende Schrift wie z.B. Eduard Fuchs' „Geschichte der erotischen Kunst 7 unterbreitete dem geneigten Publikum zwar bereits 1908 eine reichhaltige, gut aufgearbeitete Material- und Faktensammlung zum Thema, dem Autor schwebte jedoch in erster Linie eine künstlerische Nobilitierung erotischer Darstellungen, speziell in Karikatur, Groteske und satirischer Illustration, vor. Daß eine Einordnung und Bewertung des Materials nach pornographischen Kriterien bei Fuchs kaum stattfindet, verwundert nicht - bei Fuchs geht es eher „frivol" zu. Bemerkenswert erscheint aus heutiger Sicht die Bigotterie, mit der das Buch damals offenbar rezipiert wurde - ein Hinweis des Verlegers in einer Ausgabe von 1910 besagt, daß „dieses Werk... nur an Wissenschaftler, Sammler und Bibliotheken abgegeben werden“ darf. Ironisch der Kommentar von Peter Gorsen: „Tatsächlich fehlten, symptomatisch für die didaktische Gebrauchsfunktion der Pornographie, in der geheimen Ecke jeder besseren bürgerlichen Bibliothek niemals ein oder mehrere Bände von Eduard Fuchs, dem ‚Sitten-Fuchs...’“.9
Noch in den liberalen späten 60er Jahren finden sich ästhetische Ansätze, die in ebenjener Doppelmoral der Jahrhundertwende zu wurzeln scheinen, wenn sie die Pornographie ausschließlich nach konservativen Maßstäben von Sittlichkeit und Anstand scharf be- und verurteilen. Kategorisch wird die Pornographie z.B. in Gillo Dorfles 1968 erschienenem Buch über den Kitsch aus dem hehren Reservat der Kunst in die trivialen Niederungen des „Pornokitsch" verbannt: „Die Pornographie ist ihrer Natur nach roh und grob, und wenn sie ästhetische und philosophische Resultate erreicht, verschanzt sie sich nicht dahinter, sie versucht nicht, sich ihren eigenen, krankhaften Charakter zu verhehlen, sie will weder Kunst noch Wissenschaft sein.“10
Eine emanzipierte, sexual- und frauenfreundliche Kunstwissenschaft, der allein es gelingen könnte, die zahllosen Lücken in der Erforschung des Sexuellen und Pornographischen in der Kunst nach und nach zu schließen, macht sich überhaupt erst seit den 70er Jahren bemerkbar mit kritischen Beiträgen zu speziellen Aspekten des Problemfeldes; im Mittelpunkt des Interesses steht dabei oftmals die Kunst des 20. Jahrhunderts. Xaviere Gauthiers ausführliche Abhandlung über die „Inszenierung der Weiblichkeit in bildender Kunst und Literatur des Surrealismus“11 gehört hierzu, ebenso wie die Beiträge von Renate Berger.12 Erwähnt seien auch die Studien zu einzelnen, in Grenzbereichen von Sexualität und Ästhetik beheimateten Künstlern von Sarane Alexandrian wie z.B. Victor Brauner oder dem Paradebeispiel für pervertierte Künstlerphantasie: Hans Bellmer.13
Das material- und umfangreichste Buch zur „Sexualästhetik“ stammt von Peter Gorsen, der seine Untersuchung „zur bürgerlichen Rezeption von Obszönität und Pornographie“ schon 197214vorlegte. 1987 ergänzte er die nach wie vor brandaktuelle Schrift durch eine Aufsatzsammlung über „Grenzformen der Sinnlichkeit im 20. Jahrhundert“.15 Mit treffsicheren Deutungen spart der Autor ebensowenig wie mit kritischen, einer aufgeklärten Auffassung von Sexualität verpflichteten Wertungen. Bei seinem Streifzug durch die Ästhetik von Sexualität, Erotik und Perversion geht Gorsen von einem Pornographiebegriff aus, der sich vor allem dort konturiert und definiert, wo er sich vom Begriff des Obszönen absetzt: „Der Pornographiebegriff bezeichnet einen anthropologischen Bezug auf die stimulierte bzw. stimulierbare Sexualität des Menschen. ... Der Obszönitätsbegriff bezeichnet einen ethischen Bezug auf das verletzte bzw. verletzbare Scham- und Sittlichkeitsgefühl des Menschen“.16 Während sich also in der Pornographie die permanente, monotone Bestätigung sexueller Herrschaftsverhältnisse vollzieht, eignet dem Obszönen eine subversive Funktion an, die in der Lage ist, die herrschenden sexuellen Normen zu verwerfen oder zumindest in Frage zu stellen. Gerade im Zusammenhang mit der bildenden Kunst ist diese begriffliche Differenzierung von entscheidender Bedeutung; denn Kunst, will sie dem an sie herangetragenen Anspruch auf kritische, nonkonforme Verarbeitung von Wirklichkeit gerecht werden, kann sich nicht „pornographisch“ verhalten: sich also affirmativ auf die herrschende, frauen- und menschenfeindliche Sexualmoral beziehen, ohne ihren Kunstanspruch zu verspielen; das „Obszöne“ hingegen, als moralisch zersetzendes Element per se, erfüllt durchaus künstlerische Funktion, wenn es kraft seiner normensprengenden, schamverletzenden Wirkung die patriarchalen Ausprägungen von Sexualität bloßstellt, anzweifelt und konterkariert; nur da, wo Pornographie sich mit der subversiven Energie des Obszönen paart, kann sie überhaupt künstlerisch wirksam - weil „emanzipiert“17 - sein. Künstler wie Alfred Hrdlicka, Richard Lindner oder auch die in ihrer Kompromißlosigkeit einzigartigen Wiener Aktionisten liefern überzeugendes Belegmaterial für diese These.18
Angesichts der massenhaften und medienübergreifenden Kommerzialisierung der angebotenen Einschlägigkeiten allerdings läuft genau jene hoffnungsvolle subversive Funktion permanent Gefahr, ebenfalls von der Macht der pornographischen Industrie aufgesogen und eliminiert zu werden. „Die vom bürgerlichen Bewußtsein einst dämonisierten Grenzformen verflachen zu vergnüglichen Varianten im tabulosen Sexualkonsum.“19, stellt Peter Gorsen - leicht resigniert - fest, und ergänzt: „In der die Integration alles Wünsch- und Phantasierbaren anstrebenden Konsumgesellschaft ist der obszönen wie perversen Pornographie der Boden für Opposition, für das, was ihre sozialkritische, politisch emanzipierte Funktion sein könnte, im Prinzip bereits entzogen. ihre antibürgerliche Schock-Attitüde, der erotische Nonkonformismus mit Hilfe eines noch nicht integrierten Restes psychopathischen Andersseins, reduziert sich auf die pragmatische Frage, wann sie die Industrie in Reklame vereinnahmt und zum reizvollen Schauer am Bestehenden demokratisiert haben wird“.20
3. Längst ist der Nachweis erbracht: Unser Umgang mit Wirklichkeit wandelt sich unaufhaltsam hin zu einem permanenten und zwanghaften Sortieren von Bildern. Dabei berührt uns die Künstlichkeit dieser Tätigkeit - noch - als so pervers, daß die zum x-ten Male abgespulten, immer raffinierter und detailgenauer reproduzierten sexuellen Perversionen tatsächlich zu unerheblichen, nurmehr „vergnüglichen“ Bestandteilen der Bilderwelt verkümmern, von deren einstiger Sprengkraft schließlich nichts mehr übrig bleibt. Aber wir brauchen die Bilder: „Das unablässige Ansprechen und die Gier nach Bildern wachsen maßlos. Sie sind unser wirkliches Sexualobjekt geworden, das Objekt unseres Verlangens“, heißt es bei Baudrillard.21
„Und genau in diesen Substitutionen, in dieser Konfusion (des Verlangens und seines im Bild materialisierten Äquivalents - und nicht nur des sexuellen Verlangens...22) besteht die Obszönität unserer Kultur.“ Jenseits von Eros, Sex und Perversion scheint nur noch das intellektuelle Spiel damit überhaupt von (künstlerischem) Reiz; nurmehr im „Diskurs“ ist Sexualität interessant – „Man hält sich die Sexualität vom Leibe, indem man über sie spricht, sie inszeniert, sie objektiviert." Pornographie wird gesellschaftsfähig, sie wird „schick“.
Indem ein Künstler wie David Salle mit zynischer Schärfe auf die bilderüberflutete Leere gegenwärtiger Kommunikationsstrukturen reagiert, vermitteln seine Bilder durchaus ein kulturkritisches Element. Einen Großteil dieser Leere füllen wir mit Sex - oder besser: mit dem, was die Bilder daraus gemacht haben; und auch davon handelt Salles Malerei unmißverständlich. Man muß Salle Mut konzedieren, denn er riskiert, daß der theoretische Anspruch seiner Arbeiten an der Diskrepanz zu ihrer pornographischen, aller Aufgeklärtheit zum Trotz eben doch tabuverletzenden Erscheinung scheitert. Dabei hat andererseits auch falschverstandene, womöglich gar morbide oder sterile „Erotik" immer noch ihr Publikum gefunden, und der Erfolg gibt Salle recht. Salle inszeniert Frauenakte, als handele es sich um totes Material -prinzipiell geht er also nicht anders mit dem weiblichen Körper um, als man es von männlichen Künstlern gemeinhin erwarten kann24. Wie auf dem Seziertisch wird das Material malerisch zerstückelt und „portionsweise“ verwertet; manche der Bilder zeigen Unterleib, Schenkel, Brüste oder Geschlecht vom Körper getrennt und führen so die Zerstörung des Frauenkörpers schonungslos vor Augen. Die vom Künstler beanspruchte kritische Absicht, seine behauptete Sympathie mit den „Opfern“ sei dahingestellt; immerhin geht er das Thema so direkt an, daß trotz der geschmäcklerischen Verbrämungen mit kunsthistorischem und anderem Zitatenmaterial ein gewisses Maß an Provokation spürbar bleibt. Trotzdem: Auch der abgeklärte Typ des „postmodernen" Künstlers steht keineswegs über den alten sexistischen Mustern. Auch sein Blick kennt an Frauen vor allem das „Verbotene", das er bloßstellt und brutal ans Licht zerrt. Die intellektuelle Verfeinerung, die er seinen Sujets angedeihen läßt, täuscht nicht darüber hinweg, daß die Waffen wieder einmal auf die Frauen gerichtet sind. Denn die betont unerotische, distanzierte Bearbeitung des pornographischen Materials dient keineswegs der Rehabilitierung von weiblicher Sexualität; in Salles Bildern manifestiert sich im Gegenteil die doppelte Entwertung der Frau, die hier noch nicht einmal mehr als Sex-Objekt taugt. An ihrem in sexueller Pose erstarrten Körper konstatiert der Künstler - über ihren Kopf hinweg - den Tod ihrer Sexualität. Bei Baudrillard ist vom „Aberglauben der Transparenz"1~ die Rede, von dem unerfüllbaren Verlangen, durch die Bilder hindurch zur - vermeintlichen -Wahrheit vorzustoßen. „Abergäubisch“ wirkt in diesem Sinne der Begriff, der dem Maler von der „Transparenz“ vorschwebt: „I painted the image of a woman on top of a field of other images so that I could see them through her - look through her to them.“20 Der männliche Blick geht, wie üblich, unmittelbar durch die Frau hindurch, sie ist gewissermaßen „Luft“. Nur die Tabuzonen ihres Körpers bieten - zweifelhaften - Blickfang. Und ein Künstler wie Salle braucht das Tabu, denn jenseits von sexuellen Verboten wären seine Bilder einfach langweilig. Der Maler spielt mit den Reizmitteln der Porno-Industrie, ohne die zitierten Hülsen letztlich neu zu füllen; er macht sich Weiblichkeit untertan, indem er ihr eine eigene Sexualität abspricht und sie zynisch zum formalen Repertoire degradiert, aus dem er sich bedient. In Salles Bildern bestätigt sich Baudrillards These: „Die moderne Kunst ist überhaupt keine Kunst der Verführung mehr, eben so wenig wie die moderne Sexualität."27 Solange die Machtmechanismen zwischen Männern und Frauen nach den alten patriarchalischen Regeln funktionieren, wirken Kunstwerke wie die hier verhandelten nicht in kritischem Sinne „obszön“ sondern - insofern sie zur Zementierung der Verhältnisse beitragen – „pornographisch“.
Anmerkungen
1. Angela Carter, Sexualität ist Macht. Reinbek bei Hamburg 1983
2. „Die auffällige Konzentration auf die Zerstörung des weiblichen Ganzen... greift jenen Körperteil an, der Künstlern bei Frauen am entbehrlichsten schien: den Kopf“, schreibt Renate Berger Vgl.: R.B.. Pars pro toto. Zum Verhältnis von künstlerischer Freiheit und sexueller Integrität. In: Berger, Renate und Hammer-Tugenthat. Daniela. Der Garten der Lüste. Zur Deutung des Erotischen und Sexuellen bei Künstlern und ihren Interpreten, Köln 1985, 5. 152L
3. Power, Kevin, in: David Salle. Katalog der Staatsgalerie moderner Kunst, München 1989, 5.19
4. Salle. David. An Interview with David Salle by Peter Schjeldahl. New York 1987, S. 71
5. Schulz-Hoffmann, Carla. In: David Salle. Katalog der Staatsgalerie moderner Kunst München, 1989,S. 43
6. Gorsen. Peten Sexualästhetik. Grenzformen der Sinnlichkeit im 20. Jahrhundert, Reinbek bei Hamburg 1987, S.364
7. Fuchs. Eduard. Geschichte der erotischen Kunst, 2 Bände, Berlin 1908
8. in der Münchener Ausgabe des Buches von 1910
9. Gorsen, a.a.O.. S.23
10. Volli. Ugo. Pornographie und Pornokitsch, in: Gillo Dorfles, Der Kitsch, Mailand 1968, 5. 223-250
11. Vgl. Xaviere Gauthier. Surrealismus und Sexualität, Inszenierung der Weiblichkeit, Berlin 1980
12. Bergen Renate, op. cit. (Anm. 2): dies.: Lady-Killen Überlegungen zum Verhältnis von Kunst und Pornographie, in: Eva Dane und Renate Schmidt (Hrsg.), Frauen & Männer und Pornographie, Reinbek bei Hamburg 1990
13. Alexandrian, Sarane. Hans Bellmer, Berlin 1972
14. Gorsen, Peter, Sexualästhetik. Zur bürgerlichen Rezeption von Obszönität und Pornographie, Reinbek bei Hamburg 1972
15. Gorsen. op. cit. (Anm. 6)
16. Gorsen. a.a.O., 5. 37f.
17. Ebda., S. 86
18. Ebda., S.295ff., S. 348ff. und S. 453ff.
19. Ebda., S.88
20. Ebda., S.89
21. Baudrillard, Jean, Die Rituale der Durchsichtigkeit. In: Sexualität Konkret 1985, S.77
22. „...sondern des Verlangens zu wissen und seines in der „information“ materialisierten Äquivalents. des Verlangens des Traumes und seines in allen Disneylands der Welt materialisierten Äquivalents. des Raumverlangens und seines in den programmierten Ferienreisen materialisierten Äquivalents, des Spielverlangens und eines in der privaten Technik programmierten Aquivalents..." s. ebda., S. 77
23. Beate Klöckner. Die wilde Ekstase des Paradieses. Der pornographische Film, Frankfurt a.M. 1984.S. 8
24. Berger a.a.O., S. 152ff
25. Baudrillard. a.a.O., S.75
26. Salle, a.a.O., S.35
27. Baudrillard, a.a.O., S.77