Transformationen

Zur Fotomalerei von Barbara Dörffler

Jeder ihrer neueren Arbeiten liegt ein bildnerischer Einfall zu Grunde, aus dem Barbara Dörffler zunächst eine präzise Vorstellung des jeweils angestrebten künstlerischen Resultats ableitet. Vor dem Hintergrund dieses anfänglichen Gedankenbildes bahnt sie dem Entwurf seinen Weg bis zu seiner endgültigen Umsetzung in einem speziellen Verfahren aus Malerei und Fotografie; alle notwendigen Arbeitsschritte – und meistens sind dies unzählige – werden gelenkt von dieser ersten Bildimagination.


Freilich herrschen in Dörfflers künstlerischer Welt keine starren Gesetze, und so stellen sich auf der Reise von der Idee zum fertigen Bild mancherlei – z.T. auch zufallsbedingte - Abweichungen vom ursprünglichen Plan ein – und sie sind willkommen. Auch kann die Bildidee ganz intuitiv von der sinnlichen Präsenz eines Gegenstands oder Details inspiriert werden. Im Prinzip aber folgt Barbara Dörfflers Arbeitsweise einem klar durchdachten, Schritt für Schritt nachvollziehbaren Konzept.

Wenig konzeptuell hingegen präsentieren sich die Erzeugnisse ihrer Kunst. Seit vielen Jahren sind dies große oder kleine, malerisch bearbeitete schwarz-weiß-Fotografien von sehr individueller, eigenwilliger Erscheinung. Die Künstlerin verschmilzt darin verschiedene, zuweilen durchaus widersprüchliche bildnerische Prinzipien zu spannungsvollen Synthesen. Gegenstände, die Barbara Dörffler – ganz unspektakulär - in ihrer Alltagsumgebung entdeckt, liefern ihren künstlerischen Einfällen den Stoff: Kräuterdrops, Suppennudeln, Tannenzapfen oder Gebäck gehören zu ihrem derzeitigen Motivrepertoire. Nicht im geringsten ist Barbara Dörffler indes an der Bedeutung oder Funktion dieser Objekte interessiert – allein Form und Oberfläche, Struktur und Farbwert müssen mit ihrem Bildkonzept übereinstimmen.

Dabei arbeitet sie ausschließlich mit schwarz-weißem Fotomaterial, dessen Hell-Dunkel-Kontrast mit seinen grauen Zwischentönen eine essenzielle Voraussetzung ihrer Kunst bildet. Hierin unterscheiden sich ihre neuen Arbeiten besonders deutlich von denjenigen, die vor etwa zwölf Jahren ihre fotomalerische Phase einleiteten – abstrakte, informelle oder ornamentale Farbkompositionen auf Fotogrund, der aber noch hinter der Malerei zurücktrat.

Dörffler studierte damals in einer Malklasse der Kunsthochschule Braunschweig, doch die reine Malerei genügte ihr immer weniger, bot ihr zu wenig Spielraum. Mittels zahlreicher Experimente überschritt sie die malerischen Grenzen, bis sie auf die Fotografie stieß, die sie zunächst ganz ohne künstlerischen Anspruch anwandte und ihre Möglichkeiten durchspielte. Aber Dörffler konnte und wollte sich nicht von der Malerei trennen und erprobte deshalb diverse Methoden der Verbindung von fotografischer Aufnahme und farbiger Überarbeitung.

Nach einigen noch eher konventionellen Versuchen der Übermalung mit Filzstiften usw. entdeckte sie eine Substanz, die eigentlich im fotografischen Farbentwicklungslabor ihren Platz hat, nämlich Toner. Zwar nicht für den Schwarzweißprozess produziert, ist Farbtoner für diesen gleichwohl effektvoll nutzbar, wie die Künstlerin im Laufe der Zeit herausfand.

Er basiert auf den drei Primärfarben, und durch Mischen oder Verändern der Mengen- und Temperaturverhältnisse lassen sich damit im Prinzip alle Farbtöne erzielen. Immer aber behält der Toner, diese an sich transparente Flüssigkeit, seine charakteristischen Eigenschaften bei, so etwa – bedingt durch seinen Bromanteil - die ins Gelbliche spielende Wärme des Kolorits. Im Entwicklerbad ruft er auf dem Fotopapier Färbungen hervor, die ihrerseits stets transparent sind und selbst unterste Malschichten sowie das zugrundeliegende Foto-Motiv nie ganz zudecken. Liegt eine Farbe einmal auf dem Blatt, so bleibt sie bis zum Ende mitbestimmend für dessen koloristische Entwicklung.

Die eigentliche „Handarbeit“ des Bildentstehungsprozesses aber beginnt schon bei der Auswahl eines Objekts, das es in Hinblick auf die angestrebte Bildgestalt zu fotografieren lohnt. Da der Schwarz- bzw. Grauwert eines Fotoabzugs vom Grad der Sättigung mit Silberpartikeln abhängt, welche wiederum, in Verbindung mit dem Toner, eigene Farbeigenschaften entfalten, setzt hier die künstlerische Gestaltungsarbeit ein. Je schwärzer eine Fotografie, desto mehr Farbigkeit wird das fertige Bild aufweisen. An weißen Stellen wird sich keine Farbe ablagern.

Mit Toner trägt die Künstlerin in einem langwierigen und aufwendigen Arbeitsprozess Schicht um Schicht auf die schwarz-weißen Fotoabzüge auf, bis diese ihre typische,  farbig verhüllte Erscheinung erlangen, die aber erst nach vielen Schichten überhaupt sichtbar zu werden beginnt. Mittels einer Bleiche können dunkle Partien so geweißt werden, dass sie aus der Einfärbung durch den Toner ausgespart bleiben. In Kenntnis dieser Sachverhalte und mit dem fertigen Bild vor Augen bedient sie den Auslöser, und sie fotografiert so oft, bis die Fotos der Bildidee entsprechen. Alles unterliegt genauer Kalkulation, aber der bevorstehende, komplizierte chemische Vorgang macht Abweichungen unvermeidbar und bringt interessante Momente des Zufälligen ins Spiel. 

Nach Jahren des Erprobens und Austestens versteht Barbara Dörffler die in ihrem ungewöhnlichen Malmaterial verborgenen Möglichkeiten meisterhaft zu aktivieren und zu nutzen. Auch ist sie inzwischen zur Expertin in chemischen und fototechnischen Fragen geworden, doch eigentlich sind ihr diese Einzelheiten unwichtig, lediglich Mittel zum Zweck. „Ich bin Malerin, keine Fotografin“, sagt sie dezidiert.

Bevor die Künstlerin sich an die Herstellung ihrer grossformatigen Abzüge begibt, die bis zu 250 cm breit sein können, stellt sie von einem in verschiedenen Arrangements abgelichteten Motiv kleinteilige Bilderzyklen her, an denen sich die Wirkweise der Formen und Strukturen im Zusammenspiel mit der Tonerfarbe testen läßt. Erweisen sie sich im Kleinen als stimmig und intensiv, so bearbeitet sie diese – genau wie die großen Formate – mit Tonermaterial, bis sie sich von bloßen Studien in eigenständige Bilder verwandelt haben. Doch ist die Wirkung keinesfalls vom kleinen auf den großen Maßstab übertragbar, denn kleinteilige Kontraste können im Blow-Up seicht und spannungslos erscheinen. Immerhin aber lassen die kleinen Studien erahnen, was die Transformation ins Großformat bringen wird.

Der skulpturale Körper unter der Hautstruktur ist einer der beiden Aspekte, die Dörffler bei der Auswahl ihrer Fotomotive lenkt. Ausgeprägt plastisch müssen diese sein, um der flächigen Bearbeitung durch ihre Hand, die nun folgt, standzuhalten und die Raumtiefe des Bildes zu behaupten. Die sensible Wechselbeziehung zwischen Plastizität und Fläche gehört zu den wesentlichen Spannungsmomenten ihrer neuen Arbeiten. Durch Unschärfe sowie Übermalen der Ränder wird der Gegensatz zwischen Fläche und Raum aufgehoben. Der Gegenstandscharakter des fotografierten Objekts beginnt sich aufzulösen und wird unkenntlich, bis er hinter dem abstrakten Organismus der Komposition verschwindet.

Als Motive kommen vorwiegend matte Objekte in Frage, da glänzende im Moment der Spiegelung zu deutlich ihre Identität preisgeben. Mattierte Gegenstände hingegen schlucken den Reflex und bleiben körperlich unfassbar, unentschieden zwischen Fläche und Raum. In jüngster Zeit hat Barbara Dörffler ihre Objekte häufig aus dem Lebensmittelbereich entnommen, da das dort angebotene Spektrum an Formen und Oberflächen besonders breit und ausgefallen ist. So wird eines ihrer derzeitigen Motive von der Firma Barilla produziert; es handelt sich um  „Coquillette“, eine Pastasorte in Muschelform mit gerippter Oberfläche, die sich besonders effektvoll in der zusammengewürfelten Menge mehrerer gleichartiger Exemplare arrangieren und bearbeiten lässt. Diese Gruppierung von „Dingstrukturen“ der selben Gattung bildet einen Hauptstrang ihres künstlerischen Vorgehens. Die so erzeugte „all-over“-Formation füllt die Bildfläche aus und erzeugt Bewegung, Spannung und Irritation. - Der andere, zweite Strang ihres künstlerischen Denkens konzentriert sich auf einen solitären Gegenstand, dessen skulpturale Qualität im Mittelpunkt der Arbeit steht. Erstaunliche Effekte hat sie in diesem Zusammenhang z.B. einigen Gebäckcannelloni entlockt, deren abenteuerlich von zerplatzten Teigblasen genarbte Außenhaut sich in Korrespondenz und Widerstreit mit den Farbereignissen aus der Tonerflasche verändert.

Barbara Dörfflers Fotomalerei bewegt sich nicht entlang der Grenzen der Dinge, sondern überschreitet sie, verbindet sich mit den fotografierten Formen und schafft ihren eigenen Bildraum. Nie gesehene, amorphe Gestalten kommen zur Anschauung, die aufgrund ihres fotografischen Anteils paradoxerweise Authentizität suggerieren – diese in Wirklichkeit durch und durch kalkulierten, verblüffenden Kopfgeburten einer außergewöhnlichen künstlerischen Phantasie.

In: Kölner Skizzen, 3/2001

 

 

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