Das Lachen der Hildegard Weber

Zu einigen Installationen der Kölner Medienkünstlerin

Wenn Hildegard Weber eine Installation plant, dann geschieht dies mit Bedacht und von langer Hand. Denn Weber entläßt ihre Kunst erst in die Öffentlichkeit, wenn alles stimmt und jeder Gedanke sich mit den anderen zu einem komplexen Situationsbild zusammenfügt. Webers facettenreiche und vielschichtige Vorgehensweise erfordert einen entsprechend behutsamen und reflektierten Umgang des Beschauers mit ihren Arbeiten, aber auch den Mut zum freien Gedankenspiel.

Denn Webers Installationen entstehen keineswegs am "Reißbrett", sondern entwickeln sich oft auch ganz assoziativ und spontan. Die erfindungsreiche Zusammenführung von Bildern und Elementen unterschiedlicher Kulturen und Epochen gehört ebenso zu ihrer künstlerischen Strategie wie ihre zuweilen akrobatisch anmutenden Gedankensprünge. Ob nun bewußt konzipiert oder geistesblitzartig kombiniert - beflügelt werden Webers Arbeiten stets von einem hohen Maß an spielerischer Phantasie und hintergründigem Humor.

Weber schöpft aus vielerlei Bildungs- und Berufserfahrungen. Oft trägt ihre Arbeit wissenschaftliche Züge und offenbart ihre fundierten Kenntnisse in akademischen Disziplinen wie (Kunst)Geschichte, Archäologie oder Ingenieurwissenschaft. Von Haus aus ist sie Photographin mit Meisterbrief und Ingenieurdiplom. Die Photographie prägt ihr gesamtes Werk und bildet den Ausgangspunkt ihrer Projekte. Doch sind ihr darüber hinaus viele Mittel recht, um ihr Anliegen künstlerisch umzusetzen: Video, Film, Klang- und Akustikcollagen, Performance, Sprache, Schrift und Audiovision gehören zu den Ausdrucksformen, die sie seit Ende der sechziger Jahre zu raumgreifenden und ideenreichen Installationen komponiert. Zeichnungen dienen ihr als vorbereitende Skizzen, und bei jedem "work in progress" ist das dreidimensionale Modell unverzichtbar. Basierend auf dem Medium Fotografie hat sie Bilder geschaffen, die der Malerei nicht nur ebenbürtig sind, sondern diese in ihrer kommunikativen Funktion oftmals sogar übertreffen. "Fotos", so Hildegard Weber, "sind ja für jedermann schnell lesbar – es reizt, Photographien zu machen".

Für ihr letztes großes, 2000 im Kunstmuseum Düsseldorf realisiertes Projekt "Das Lachen der Nike von Samothrake" inszenierte sie auf der Grundlage der Fotografie Frage- und Denkspiele zum Thema des Siegens und Gewinnens in unserer heutigen Gesellschaft – als Vernissagetermin wählte sie anspielungsreich den Eröffnungstag der Olympiade in Sydney. Dass sich Hildegard Weber zu dieser Installation von einer antiken Götterbotin inspirieren ließ, nahm der Arbeit nichts von ihrer Aktualität, sondern integrierte – umgekehrt - den kulturhistorischen Kern der Thematik mitten in die gegenwärtige Wirklichkeit. In der stumm-erhabenen fotografischen Präsenz kopfloser antiker Statuen, vor allem aber in der zentralen Plazierung einer großformatigen schwarz-weißen Photographie der Pariser Nike-Statue schien über allem der uralte Geist des Siegens zu schweben. Gespiegelt in betrübt oder fröhlich blickenden Alltagsgesichtern, im scharfen Bildwitz der Zwiebeln oder im unverwüstlichen Frohsinn der billigen Lambadapuppe, und sogar interaktiv nachspielbar in einem - echten - (Dart)-Wettkampf, gewann das Motiv lebendigen Gegenwartsbezug.

Der historische und philosophische Anspruch, der Webers Arbeitsweise wesentlich kennzeichnet, bewahrt sie vor schnellem politischen Aktivismus, und doch läuft jedes ihrer Werke auf eine Stellungnahme zu Gegenwartsfragen hinaus. Anlässe zur Auseinandersetzung mit einem bestimmten Themenbereich liefert ihr oft das aktuelle Zeitgeschehen. Die Themen, die sie aufgreift, liegen "in der Luft", doch Hildegard Weber entdeckt daran auch die dem bloßen Auge verborgenen Aspekte. Für tagespolitische Fragestellungen interessiert sie sich hingegen weniger. Ihr Verständnis von Politik, wie es sich in ihrer Kunst vermittelt, betrifft eher die komplizierten Netzwerke gesellschaftlicher und individueller Kommunikation, die es zu untersuchen und oft auch zu unterlaufen gilt. Der französische Kritiker Jean Louis Schefer nannte Hildegard Weber in diesem Sinne treffend eine engagierte Künstlerin.

Ein Beispiel ihres gezielten politischen Engagements gab sie mit der Raumarbeit "Schwarze Fahnen – schwarze Spiegel" in der Kunststation St. Peter im November 1988 anläßlich des 50. Jahrestages der sogenannten "Kristallnacht". Rund um das Kircheninnere brachte sie in Augenhöhe einen umlaufenden fotogafischen Fries authentischer Nazis an In der Apsis über dem Altar und an den alten Fahnenstangen im Kreuzgewölbe hingen in Eisenrahmen großformatige Photographien schwarzer Fahnen, die im vorliegenden Zusammenhang an rechten Terror, Macht und Totenkult, aber auch an Trauer, Widerstand und Anarchie gemahnten. " Friedhelm Mennekes schrieb: "Alle Drastik und Dramtik der alten Geschichten in den traditionellen altarbildern verbarg sich in dieser Installation." (Publikation im Insel Verlag). In art press schrieb damals Eric Michaud: "Hildegard Weber use parfois de la photographie comme d'une arme, c'est moins pour la chrage critique que celle-ci recele, que pour les dangereux troubles d'identite qu'elle al le pouvoir d'engrendrer." Die Fahnen mit ihren vom Wind geprägten Formationen forderten zum W achsein, Wachbleiben auf, gaben Zeichen de Be- und Gedenken. Schwarze Fahnen – schwarze Spiegel" rückte eine vernachlässigte Seite des Nazi-Themas ins Blickfeld, denn sie stellte nicht – wie dies in künstlerischen Verarbeitungen des deutschen Faschismus zumeist geschieht - die Opfer ins Zentrum,. sondern die Täter, deren Konterfeis sie den Besuchern wie "schwarze Spiegel" vorhielt.

Ein anderes Beispiel für die politische Tendenz ihrer Kunst sind ihre wiederholten Auseinandersetzungen mit der Mauer-Problematik, die sie zuletzt 2000 in der Potsdamer Performance und Installation zum Tag der Einheit mit "Einehie-ei ei ein Ei" in Frage stellte. 1981, zum 20. "Geburtstag" der Mauer, initiierte sie ein interaktives Projekt in Form einer Publikumsbefragung außerhalb Berlins ("Was würden Sie auf die Mauer schreiben?"), das 1983 im Haus am Checkpoint Charlie publiziert und ausgestellt wurde. - In der Arbeit "Pick-Nick – eine Ost-West Situation", die 1989 anläßlich des Mauerfalls für die Kölner Moltkerei Werkstatt entstand, sah man zwei nach Osten und Westen ausgerichtete Bodenmonitore mit Videotapes von stacheldrahtumzäunten Ameisenhaufen. Kaum hörbar erklangen die Laute der Insekten. Fotofahnen mit Baumstämmen, in deren Rinde sich der umfangende Stacheldraht bereits tief eingewachsen hatte, ergänzten das Bild. Webers ironische Anspielung auf die Spaltung des deutschen Volkes transportierte zugleich ein Stück Hoffnung auf das allmähliche "Auswachsen" der Vergangenheit.

Vielfach entlehnt Hildegard Weber die fotografischen Komponenten ihrer Werke der Natur; immer wieder spielen Tiere, als Paradigmen und Metaphern für Leben schlechthin, eine – zumeist allerdings eher satirisch aufgefaßte - Rolle. 1997 verwirklichte sie, als Beitrag zu einer deutsch-chinesischen Künstlereinladung, im Gothaer Kunstforum (Köln) ihre Rauminstallation "Myrmekomorph" (zu deutsch etwa: ameisenförmig). Wieder waren es ungezählte Ameisen, Vertreter einer der höchstorganisierten kollektiven Lebensformen der Fauna , die hier – auf schmalen Banderolen zu langen Kolonnen vergrößert - die Infragestellung des Individuums angesichts gesellschaftlicher Notwendigkeiten versinnbildlichten. Zwei Fotos von halbierten Äpfeln – Köder vielleicht? - leiteten über zu kulturellen Assoziationen wie dem Reichsapfel oder dem Märchen vom Schneewittchen. Das Videotape eines sich den Rücken kratzenden Menschen spielte auf den Juckreiz an, den der Anblick des tausendfachen Krabbelns in unserem Empfinden auslöst. "Winterameisen auf Reisen - eine Antipode ameisenhaft sehen mit der Vor-Aus-Sicht unangenehmer Nebenwirkungen" lautete das apokryphe Motto dieser Arbeit – welches den dialektischen Grundzug in Webers Werk gleichwohl programmatisch in Worte faßte.

Ein Jahr zuvor, 1996, entstand für die Moltkerei Werkstatt die ebenfalls verschiedene Medien verspielt und intelligent miteinander verknüpfende Raumarbeit "ISOPS²". Wie so oft in Hildegard Webers Arbeiten stellt bereits der Titel eine Herausforderung an die Betrachter dar: Spielt er auf die im Mittelmeerraum beheimatete, wilde Heilpflanze Ysop an? Oder verbirgt sich dahinter ein Akronym? Die Arbeit selbst entführte den Besucher zu den wogenden Wellen des Nord- und Südmeers, akustisch-visuell präsent in Photographien, Video- und Audiotapes, vermittelten das Bild eines schwankenden Horizonts, auf welches die eibnführende Fotosequenz eines schwappenden Rotweinglases anspielte. Horizontverschiebungen müssen sich aber nicht notwendigerweise geologisch, physikalisch oder im Rausch vollziehen, sondern wären zuweilen auch als eine Form der Denkbewegung wünschenswert – selbst wenn sie nur im Tempo der Schnecken voran kommt, deren Bilder sekundenweise zwischen den Meeresbildern auftauchten.

Auf ein freies weißes Säulenpodest, das den räumlichen Mittelpunkt bildete, sowie auf die Wände und eintretenden Besucher wurden in griechischer Schrift die Worte "Thalatta" ( = Meer ) und "panta rhei" projiziert, jenes legendäre Diktum Heraklits, demzufolge alles auf einen in stetem Wandel begriffenen „Urstoff“ zurückgehe und auch Gegensätze sich nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten beständig ineinander umwandeln – die Erfindung der Dialektik oder: Alles fließt. Das Bodenvideo eines sich drehendes Schneckenhaus lud zum metaphysischen Diskurs ein.

Auch jeder Ort ist immer anders, weshalb zu den unverbrüchlichen Grundsätzen von Hildegard Webers Kunst der lokale Bezug ihrer Arbeiten zählt. Immer stellt sie Verbindungen zwischen dem Ausstellungsort und der jeweiligen Installation her oder deckt - latent - vorhandene Bezüge auf. In Düsseldorf war es die Idee des "Kunst-Palastes", in den die Institution "Kunstmuseum" sich derzeit verwandelt, die sie mit dem Bild der Siegesbotin Nike verknüpfte. – Und in ISOPS² war Köln der imaginäre geografische Mittelpunkt für ihre am Globus orientierte Koordinierung der Meeres- und Horizontbewegung.

Häufig gibt das Reflektieren über einen Ort selbst – z.B. ein Gebäude, ein Land, eine Stadt – den unmittelbaren Anstoß zu einem Projekt. So erwuchs das Konzept zu dem Environment "Park-Platz", realisiert 1990 im Niehler Dom zu Köln, aus der Beschäftigung mit dem ehemaligen kultischen Ort ebenso wie mit seiner einstigen Funktion als Fluchtburg vor den Hochwasserfluten des Rheins. - Für ihr 1993 auf Korsika durchgeführtes Projekt "Corse Pensee" machte Weber den Ort des Geschehens selbst – den alten Konvent von Morsiglia - unmittelbar zur Projektionsfläche einer Installation, die der pythagoräischen Theorie vom Primat der Mathematik gewidmet war. "Corse Pensee" war gedacht als das – nota bene mathematisch organisierte – Schneeballsystem eines vom ersten Anstoß an sich selbst, will sagen: in den Köpfen der Beteiligten - generierenden kulturellen Netzwerks, das sie 1994 auch zum Gründungsmanifest der arToll-Labors in der psychiatrischen Klinik Bedburg-Hau machte..

Jede von Hildegard Webers Arbeiten bildet auf ihre Art ein Netzwerk – ein vielgestaltiges Ensemble aus unterschiedlichen, entlegensten oder nächstliegenden Aspekten einer Ausgangssituation. Wirkt ein solches "Gewebe" auf den ersten Blick manchmal sprunghaft, kantig und widersprüchlich, so erweist es sich schließlich vielmehr als spannendes Angebot an die kommunikative Offenheit und geistige Flexibilität des Betrachters. Hildegard Webers Spezialität sind intelligent, kenntnisreich und phantasievoll organisierte Bilderfindungen, deren ästhetischer und (sozio)-logischer Immanenz man sich desto weniger entziehen kann, je mehr man von ihrer Kunst gesehen hat und weiß.

Zurück zur Übersicht