Rob Scholte
Was die Galerie Paul Maenz, Köln, ihren Besuchern in dieser Ausstellung als Porträts verkaufte, das war man nicht unbedingt und auf Anhieb als solche zu akzeptieren gewillt; um Bildnisse im traditionellen Verständnis handelt es sich jedenfalls nicht. Oder hat William S. Burroughs, Autor von „Junkie“, „Naked Lunch“ und anderen amerikanischen Kultbüchern, etwa Ähnlichkeit mit einer bobonbunten Kinderschreibmaschine? Wohl selbst dann nicht, wenn dieser Apparat ebenfalls „Burroughs“ heißt.
Andererseits gehört die Schreibmaschine natürlich zum Schriftsteller wie der Taktstock zum Dirigenten. Warum aber trägt das Bild den Titel „Analphphabet“, soll doch hier das genaue Gegenteil, ein Dichter nämlich, geehrt werden? Nun, „an alphabet“, ein Alphabet, erscheint durchaus auch im Bild, allerdings etwas aus der Reihe geraten und zu einem zoologischen Nonsens-Satz neu zusammen gewachsen: „The quick brown fox iumps over the lazy dog“. Wer aber hätte gedacht, dass dieses kleine Sprachspiel mit allen Buchstaben unseres ABCs aus der Feder aus der Feder jenes William S. Burroughs stammt? Also doch ein Stückchen „echter Burroughs“, welches, zusammen mit den anderen im Bild sichtbaren Versatzstücken, zwar kein wirkliches Porträt, aber immerhin eine merkwürdig verrätselte Bild-Paraphrase auf den Dichter abgibt.
„On the origin of species“ nannte der britische Naturtorscher Charles Darwin seine berühmte Abhandlung, in der er seine Lehre von der natürlichen Selektion darlegte. Auch ein Bild des 30jährigen Niederländers Rob Scholte, von dessen „Porträts“ hier die Rede ist, trägt diesen Titel. Aber auch in diesem Bild begegnen wir nicht etwa dem Menschen Charles Darwin in seiner „wirklichen“, äußeren Erscheinung. Stattdessen sehen wir einen in ein historisches Kostüm gezwängten Affen, der sich an einer Schautafel zu schaffen macht. In vier Stufen ist hier abzulesen, wie sich Homo Sapiens - ironischerweise entgegen der üblichen Entwicklungsrichtung - in einen behaarten Primaten (zurück)verwandelt. Homo Sapiens selber präsentiert sich, in Gestalt einer bröckeligen weiblichen Marmorfigur, als angegammeltes, ausgedientes Kunstwerk. Ein zynischer, science-fiction-artiger Blick in die Zukunft des Menschengeschlechts? Jedenfalls ein reichlich ungewöhnliches Bild über Charles Darwin und seine Lehre. Wie schon Burroughs, so ist auch Darwin lediglich „gemeint“, versteckt hinter geheimnisvollen Anspielungen und Hinweisen bestenfalls erahnbar.
Ein drittes „Porträt“ von Scholte ist Jasper Johns gewidmet, und wieder erweist sich das Gezeigte als nur marginal mit dem Gemeinten deckungsgleich. Den Rahmen gibt eine monumentale Witzzeichnung ab, in der ein Mann und eine Frau auf einem Sofa sitzen. Sinnierend betrachten beide ein großes, im Unterschied zum Rest des Bildes farbiges Flaggengemälde von Jasper Johns. „Wäre dies ein Jasper Johns, dann könnten wir ihn für drei Millionen Dollar verkaufen“, spekuliert, auf Englisch, die Unterzeile (obwohl der mittlerweile schon viel teurer wäre, wie der Galerist versichert). Aber da dies „nur“ ein Rob Scholte ist, können wir ihn nicht für drei Millionen verkaufen, denkt der Betrachter und wundert sich zugleich über die Borniertheit der Witzbewohner, die einen echten Jasper Johns haben und dies nicht zu wissen scheinen.
Wie zumeist bei Scholte liegt auch dem „Jasper Johns-Porträt“ eine Bildvorlage zugrunde, in diesem Fall eine Karikatur aus dem „New Yorker“. Bilder, ganz gleich welcher Art und Herkunft, besitzen eine magische Anziehungskraft für Scholte. In guter postmoderner Manier entstehen aus dem vorhandenen Bildmaterial, einem Recycling-Prozeß nicht unähnlich, neue Bilder mit neuen Bedeutungen. Aus einer spiralnebelförmigen Ansammlung modernen Science-Fiction-Literatur, vielleicht aus dem Werbeprospekt einer Buchhandlung, beispielsweise macht Scholte ein „Porträt“ der russischen Theosophin Helena Petrovna Blavatski; aus den Fragmenten einer explodierenden, kitschig-violetten Beethoven-Büste formieren sich, in fein säuberlicher Schrift notiert, die neun Symphonien; eine kopfüber in einer Vase stehende, rote Rose („la vie en rose“) erweist sich als Bild, Metapher für die Grande Dame des französischen Chansons, Edith Piaf; ein Selbstporträt schließlich besteht aus nichts als einem unverschämt großen, gelben Copyright- „C“ auf rotem Grund.
Rob Scholte ist Maler, und sein Handwerk beherrscht er mit einer geradezu unzeitgemäß zu nennenden Perfektion. Trotz der relativ großen Formate seiner Bilder wirken sie, als seien sie unter Zuhilfenahme eine Lupe gemalt worden. Erinnerungen an die Leydener Feinmalerei des Gerard Dou, eines Landmanns Scholtes aus dem 1 7. Jahrhundert, stellen sich ebenso ein wie an die illusionistischen Gemälde der Trompe-L'Oeuil-Künstler. Dennoch: Bei aller technischen Präzision interessiert sich Rob Schalte für malerische Fragen und Probleme nicht im geringsten. Ausschließlich konzeptuelle Überlegungen sind es, die ihn dazu (ver)führen sich immer wieder neue, vertrackte und verklausulierte Rätselbilder auszudenken.
Die Serie der „Porträts“, an der der Künstler seit 1983 sporadisch arbeitet, umfasst mittlerweile 21 Werke, vierzehn davon sind in Köln und Kassel ausgestellt. Drei Arbeiten konnte man im vergangenen Jahr auf der Kasseler documenta sehen. Insgesamt malt Scholte, wie er in einem Interview angab, nur etwa 30 Bilder in Jahr, eine recht sparsame Produktion, verglichen mit dem ungeheuren Output mancher Zeitgenossen. Allerdings besteht seine Arbeit ja nicht aus dem Malen, sondern zu großen Teilen auch aus dem Sammeln, Selektieren und Kombinieren von bereits vorhandenen Bildern. Erst wenn die Bildidee im Kopf exakt „steht“, kann ein Bild daraus werden; das Malen wird in diesem Prozess gewissermaßen zur Nebensache.
„lch lege großen Wert auf Lesbarkeit, aber nur in Kombination mit Dingen, die Geheimnisse schaffen. Es geht mir im wesentlichen darum, die Schlechtigkeit der Welt so zu übersetzen, dass sie vielleicht doch noch eine sinnliche Faszination ausstrahlt und darum, Illusionen herzustellen, aber auch zu verstören“, sagte Scholte in dem erwähnten Interview. Ein Anspruch, den seine „Porträts“ zweifellos einlösen.