Anna und Bernhard Johannes Blume
„Kunst", so Bernhard Johannes Blume in seinem 1986 gehaltenen Vortrag „heilig, heilig, heilig", „wäre und ist... im besten Falle Kanalisation von individuellem Wahnsinn und Verzweiflung." Kunst ist - jedenfalls für Bernhard Johannes Blume und seine Frau Anna - eine höchst platonische, zuweilen parapsychologische Angelegenheit. Eine Kanne durch die Luft schweben zu sehen - ja, eine Kanne zu sein -, das kommt vor in den Fotoarbeiten der Blumes. Philosophisch - oder besser gesagt: pseudophilosophisch - oder auch „ideoplastisch" kommentiert, spielen sich in diesen Bildern des alltaglichen, ganz normalen Wahnsinns die ungeheuerlichsten Dinge ab. Angenommen, Herr und Frau Blume gehen sonntags nachmittags - Hütchen, Schühchen, Stöckchen passend - im Wald spazieren. Es packt sie die „Waldeslust“, und in ihrem Waldeswahn beschließen sie, einander zu fotografieren. Was dabei z.B. heraus kommen kann - schlimmsten-, besten-, kornischstenfalls -, das zeigt Blumes höchst groteske Großfotoserie mit eben jenem Titel „Waldeslust“ aus dem Werk komplex ,,Zurück zur Natur, aber wie?“
Neben dem „Wahnzimmer“ gehört „Waldeslust“ zu den bekanntesten, weil eingängigsten und eindeutigsten Arbeiten der Blumes. Im Rahmen einer erster großen Blume-Retrospektive waren beide Serien jetzt im Rheinischen Landesmuseum in Bonn ausgestellt, zusammen mit vielen anderen fotografischen Blume-Arbeiten. Ein besonderer Platz gebührte hier natürlich eben jenem „Wahnzimmer“ (aus der Werkgruppe „Immobilien“), welches innerhalb der Ausstellung so geschickt plaziert war, dass jeder Betrachter sich animiert fühlen mußte, bei diesem Wohn-Wann, wenigstens im Geiste mitzumischen. Das 50er-Jahre-Mobiliar, das auf diesen Fotos hemmungs- und schwerelos durcheinanderwirbelt, strotzt vor Spießigkeit, und allein die Vorstellung, diesem bürgerlichen Mief den Boden unter den Füßen wegzuziehen, löst unbändiges Vergnügen aus. Den eigentlichen Wahnsinn dieser Szene aber verkörpern die beiden Spießerfiguren, die sich, gebeutelt von der plötzlichen Selbständigkeit der Dinge, fassungslos und entsetzt daran klammern, um ihrerseits ins Wanken zu geraten.
Bernhard Johannes Blume, nebst seiner Frau Anna und seiner Mutter, tritt als Protagonist der meisten dieser Fotos auf. Verwackelt, verschwommen und verwischt, vermitteln diese Bilder eine sehr subjektive Sicht von Wirklichkeit. Auf unmißverständlich ironische, dann wieder entrückt-esoterische Weise teilt Blume dem Menschen eine Position zwischen den Dingen und seiner eigenen Person zu, die ihn als einen immer ein wenig hysterischen, unermüdlich experimentierenden und ständig krampfhaft um Fotogenität bemühten Mitspieler in diesem Alltagsirrsinn erscheinen lassen.
Fast immer untermauert Blume seine Fotosequenzen quasi „pseudodidaktisch“ mit Vorträgen und Texten zum jeweils fotografisch erfaßten Thema.
Eine ausschlaggebende Rolle spielen in seiner Arbeit von Anfang an diePhilosophie und die Psychologie: Versuche, philosophische Lehrsätze fotografisch sozusagen zu „illustrieren“, geraten allerdings meistens zur skurrilen Satire. Daß „die reine Vernunft... ungenießbar“ ist - diese Verballhornung Kantscher Weisheit demonstriert Blume - äußerst sinnhaft mittels weißer, kantiger (Nomen est Omen) Klötzchen, die zu verzehren der Protagonist vergeblich versucht. Vom „Magischen Determinismus“ handelt das fotografische Experiment, sich in eine Kanne zu verwandeln. Die Kanne - im Freudschen Sinne natürlich als Mutterschoß zu interpretieren - nimmt das menschliche Bewußtsein zwar auf, ist „allerdings in diesem Augenblick auf das bloße Sein der Kanne reduziert. Ich wäre also eine Kanne, ohne mich als Kanne zu erkennen“ (BJB 1976).
Äpfel, Blumenkohl, Paprikaschoten und Salatköpfe lässt Blume in seiner Polaroid-Sequenz „natürlich“ auftreten, um an ihnen – und an sich selbst – die Distanz zwischen Natur und Kultur zu demonstrieren. Medium, Müslimann und Salatbeschwörer – auf diese Formel bringt Blume die Rolle des Künstlers innerhalb dieser zwischen Trivialität und Trauma angesiedelten Sofort-Bild-Welt.
Immer noch ist die Fotografie behaftet mit dem Ruch der absoluten Objektivität. Das fotografische Oeuvre des Ehepaars Blume allerdings belehrt den Betrachter radikal des Gegenteils. Fotografie gerät hier zum Ausdrucksmittel einer uneingeschränkten, immer an Magie und Wahn grenzenden Subjektivität. Darüber hinaus beweisen diese Bilder, wie wenig Wahrheit oft mit Wirklichkeit zu tun hat. Wären diese Fotos nicht im Kern so wahr, man könnte in schallendes, befreiendes Lachen ausbrechen ob ihres ironischen Humors. Erkennt man aber die kompromißlose Wahrheit ihrer Aussage, dann kann es vorkommen, dass einem das Lachen – wie ein unverdautes Tück „reine Vernunft“ im Halse stecken bleibt.
In KuFo 94/88