David Rabinowitch

Der Kanadier David Rabinowitch, geboren 1943 in Toronto und seit 1984 Professor für Bildhauerkunst an der Kunstakademie Düsseldorf, giklt als einer der renommiertesten und eigenwilligsten Stahlbildhauer unserer Zeit. Eine gewisse Eigenwilligkeit gehört allerdings per se zu den Wesensmerkmalen dieses widerspenstigen Mediums, und vergegenwärtigt man sich Stahlskulpturen bei­spielsweise von Donald Judd, Robert Morris, Ansgar Nierhoff oder natürlich Richard Serra, so stellt sich immer und in erster Linie die Assoziation von massiver Monstrosität und extremer Ungefällig­keit ein, ehe weitergehende Intentionen - wie z. B. der fast immer wesensbestimmende Raumbezug der Arbeiten – überhaupt zum Tragen kommen. Seit 1963 konzi­piert Rabinowitch seine Skulpturen ausschließlich für den Boden und thema­tisiert mit diesen „niedrigen Fußboden-Werken“ (Rabinowitch) die Orientierungsebene unseres Raumbe­wußtseins. Eine große Retrospektive seines plastischen Werks - ergänzt durch ebenso zahl- wie aufschlußreiche Zeich­nungen und Pläne - veranstalteten nun drei deutsche Museen: Die Kunsthallen in Tübingen und Bielefeld sowie das Kunstmuseum Düsseldorf. Ein recht un­gewöhnliches und für den Ausstel­lungsbesucher nicht eben befriedigendes Konzept, gab es doch an den einzelnen Orten immer nur begrenzte Ausschnitte aus seinem Werk - und somit nur be­schränkte Einblicke zu gewinnen. Ein Konzept andererseits, welches vom Künstler so gewählt und - recht überlegt - eigentlich auch nur so möglich war, be­anspruchen David Rabinowitchs Boden­stücke doch vor allem eines: Platz. Die große Ausstellungshalle im baufälligen Düsseldorfer Kunstpalast bot z.B. nur drei Arbeiten Platz - Stücken aus der Werkgruppe der “Metrical (Romanesque)  Constructions“,  an  denen Rabinowitch seit 1971 arbeitet.

Bis zu seinem entscheidenden Besuch in Köln im Jahre 1971 - und seiner ersten Begegnung mit der romanischen Architektur - hatte Rabinowitch in den Serien der Bars, Cylinders und Planes bereits ein bildhauerisches Konzept formuliert, dessen Eigenständigkeit vor allem in der Diskrepanz zwischen formaler Beschränkung einerseits und „inhaltlicher“ Unbegrenztheit andererseits besteht. „Inhaltlich“ aber bedeutet in bezug auf Rabinowitchs Werk die Art und Weise seiner Betrachtung. „Die wechselnde Betrachtungsweise, oder vielmehr der Akt der Betrachtung selbst ist ihr Inhalt“, schrieb Nancy D. Rosen 1977 im Katalog der documenta 6. Und genau in dieser Thematisierung der Wahrnehmung durch die Skulptur besteht der spezielle Beitrag von Rabinowitch zu Fortentwicklung (von) der Minimal Art der sechziger Jahre. Läßt seine früheste im Katalog dokumentierte Bodenarbeit „Field Phalanx 1“ von 1963 - eine aus quadratischen Blechen zusammengesetzte Ebene - noch unvermeidlich die Assoziation an Stücke von Carl Andre aufkommen, so verweisen bereits sein „Tubes“, später dann die „Planes“ auf eine Überwindung des Prinzips der „Form an sich“. Die „Planes" sind zunächst noch recht unregelmäßig geformte Stahlstücke von mehreren Zentimetern Stärke, die sich in der Folge immer mehr an geometrische Grundfiguren annähern. Alle Arbeiten bestehen aus warm­gewalztem Stahl und sind unterteilt in „Masses“, Segmente unterschiedlicher Form, deren Schnittstellen sowohl eine horizontale als auch vertikale Strukturierung der Stahlplatt bewirken. Dabei folgen diese Schnitte freilich keinem wie auch immer gearteten Prinzip, sondern konfrontieren den Betrachter mit ihrem „So und nicht anders Sein“ und zwingen ihn, einen Standpunkt - gewis­sermaßen „Stellung“ - zu beziehen. An dieser Stelle sei auf Rabinowitchs stark philosophisch geprägte, insbesondere der empirischen Erkenntnislehre eines David Hume verpflichtete Sichtweise verwiesen. Viele seiner Planes hat der Künstler darüber hinaus mit Löchern von unterschiedlichem Durchmesser vertikal durchbohrt, deren Sinn sich erst bei langer und konzentrier­ter Betrachtung der Stücke überhaupt offenbart und die auch der ergänzenden Erläuterungen durch die Pläne und Kon­struktionszeichnungen bedürfen. Jedes Loch markiert bestimmte, sozusagen „werkimmanente“ Gegebenheiten wie z.B. Schnittpunkte von imaginären Linien zwischen den äußeren Ecken eines Stücks oder bezeichnet auch mögliche Betrachterstandpunkte. Deutlicher noch verfolgt Rabinowitch dieses Konzept in seiner „romanischen“ Werkphase weiter, die sich direkt mit der Strenge und Massivität der romanischen Architektur auseinandersetzt und zugleich Beziehung aufnimmt zu denk­baren – wiederum imaginären - Grundris­sen. Auch die romanischen Konstruk­tionen bestehen aus einzelnen, ausschließlich auf geometrische Grundformen reduzierten Segmenten, die nun allerdings in größerer, im Kontext seines bisherigen Werks fast spielerisch zu nen­nenden Vielfalt auftreten. Auch grenzen die Kanten dieser Segmente nun nicht mehr unbedingt aneinander, sondern lassen Aussparungen - gleichsam Nega­tiv-Segmente - frei. Rabinowitchs dialektische Intention, Einzelelemente dem Ganzen zugleich unterzuordnen und als individuelle Massen erscheinen zu lassen, offenbart sich in diesen Arbeiten in besonderer Weise. Den Bezug der ein­zelnen Massen untereinander bestimmen die jeweiligen „Scales“ - die Maßstäbe -, die der Künstler seinen „Bausteinen“ überordnet. Das Fehlen eines klar zu de­finierenden Systems macht andererseits jedes Teilstück zu einer eigenständigen, sich selbst genügenden Form.

Die Auseinandersetzung mit den Bodenskulpturen von David Rabinowitch kommt einer Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmungs- und Er­kenntnisfähigkeit gleich. Jede Veränder­ung des Betrachterstandortes bewirkt eine Veränderung des Werks, und jeder Aspekt trägt zur Vervollständigung des Werkes in der Wahrnehmung bei. Ist der schwerste Schritt - nämlich der prinzi­pielle Zugang zu Rabinowitchs durchaus spröder Denk- und Arbeitsmethode - einmal vollzogen, dann entfaltet sich nach und nach die ganze Komplexität eines der tatsächlich eigen­willigsten bildhauerischen Oeuvres der Gegenwart.

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