Brennpunkt Düsseldorf 1962-1987

Noch beträgt die Distanz zwischen heute und damals kaum ein Vierteljahrhundert, und schon haben wir sie zum Mythos stilisiert: die golde­nen sechziger Jahre und mit ihnen die rebellischen Künder einer Zeit, die vor allem eines sein wollte: an­ders. Oft ist heute die Rede von ei­ner „Zeit des Aufbruchs“, auch wenn damit zumeist eher die eu­phorische Stimmung dieser Jahre gemeint ist, weniger die nicht er­reichten Ziele.

Wie so oft hatte auch damals die Kunst viele Gedanken und Vorstel­lungen der sechziger Jahre schon formuliert, als die Studentenbewe­gung noch Rock'n'Roll tanzte; ob Neo-Dada, Pop, Zero oder gar der verpönte Subjektivismus des Informel - durch die unterschiedlich­sten Erscheinungsformen der Nachkriegskunst zieht sich die Idee von der Identität zwischen der Kunst und dem Leben - eine Idee, die schließlich in dem ganzheitli­chen, anthroposophisch-religiösen Werk und Kunstbegriff von Joseph Beuys kulminierte.

Von Joseph Beuys und seinem Wirkungskreis im Düsseldorf der sechziger Jahre handelte jüngst ei­ne Ausstellung, die Stephan von Wiese im dortigen städtischen Kunstmuseum inszenierte. Die Ausstellung mit ihrer geradezu ver­wirrenden Materialfülle, vor allem aber der lesens- und empfehlens­werte Katalog sind als erneute Huldigung an den eigenwilligen Akademieprofessor ebenso zu ver­stehen wie als Antwort auf die Sechziger-Jahre-Schau, die vor ge­nau einem Jahr im Kölnischen Kunstverein zu sehen war. Aber „Kunstmetropole Köln“ hin, „Brennpunkt Düsseldorf“ her - ganz zweifellos spielte die Landes­hauptstadt - als Sitz einer der wichtigsten Kunstakademien - ei­ne entscheidende Rolle in der aufbrechenden Kunstszene jener Zeit. Geistiger Brennpunkt der akade­mischen Avantgarde war Joseph Beuys, und ihm war auch der zen­trale Raum der Ausstellung gewid­met, um den herum sich auf drei Stockwerken des Museums und im gegenüberliegenden Kunstpalast die zwanzig Künstlerräume seiner Schüler und geistesverwandten Kollegen gruppierten. Dabei be­stand das spezielle Anliegen darin, nicht nur die facettenreiche Szene der sechziger Jahre auszuleuchten, sondern alle Künstler auch sofern sie noch leben - mit Beispie­len ihres jüngsten künstlerischen Schaffens zu präsentieren - ein Versuch, der nicht immer erhellend war. Denn wo sich im Werk von beispielsweise Ulrike Rosenbach, Reiner Ruthenbeck oder Inge Mahn eine konsequente Weiterent­wicklung - und qualitative Steige­rung - deutlich offenbaren, da wirken andere „Spätwerke“ eher blaß verglichen mit dem agitatori­schen Witz und dem experimentel­len Ideenreichtum von damals; und auch im Düsseldorfer Kunstmu­seum gewinnen z. B. die Holocaust-­Szenarien eines Robert Morris nicht eben an Überzeugungskraft. Ohnehin zählt Morris, neben an­deren Schlüsselfiguren wie Marcel Broodthears, Eva Hesse, Panamarenko oder James Lee Byars, zu den Ausstellungsteilnehmern, deren Beziehung zu Düsseldorf eine eher periphere, gastspielartige war. Aber die Stadt war eben internatio­nal, und ganz sicherlich haben Er­eignisse wie die Ausstellung von Panamarenkos Flugmaschinen in der Akademie 1968, Byars Happe­ning „Pink Silk Airplane“ nach der Schließung der Akademie im Aktionssommer 1969 oder das „Musée d’Art Moderne - Departement des Aigles“, das Broodthears 1972 in der Kunsthalle einrichtete, wesent­liche Akzente gesetzt. Ein anderes Düsseldorfer Szene-Ereignis war das mit Installationen und Happe­nings von Günther Uecker, Heinz Mack, Konrad Lueg oder Klaus Rinke als „Kunst-Disco“ verstandene „Creamcheese“, wel­ches sich auch in einem Ausstel­lungsraum präsentiert. Viel leben­diger aber als eine solche etwas staubige Rekonstruktion verstehen die Fotografien - insbesondere die von Ute Klophaus und Katharina Sieverding - die Aufbruchsstim­mung wiederzugeben, von der die gesamte Künstlerschaft so produk­tiv beseelt war. Jörg Immendorff’s provokative „Lidl-Akademie“, Rinkes Wasserexperimente, Hausbesetzungen und immer wieder die schamanistischen Aktionen von Beuys, deren Relikte z.T., wie der „Eurasienstab“, auch ausgestellt waren.

Natürlich durften in einer Aus­stellung über Beuys und die Düssel­dorfer Akademie auch Paik und Palermo nicht fehlen, und selbst­verständlich waren auch Richters frühe fotorealistische Bilder (und seine unvermeidlichen abstrakten der achtziger) sowie Polkes hämi­sche Angriffe auf die „Moderne Kunst“ mit von der Partie. Ein be­sonderes Verdienst aber kam der Ausstellung zu, weil sie an Künstler erinnerte, die heute aus mancherlei Gründen kaum mehr von sich re­den machen; so z. B. den Dänen Henning Christianse, dessen beeindruckende Klang-Installation „Musik als Grün“ ein echtes Fluxus-Dokument darstellt; oder den Afrikaner El Loko, dessen kulti­sche Figurenobjekte aus Eisen, Holz und Filz wohl zu dem Merk­würdigsten gehören, was in Sachen Beuys-Rezeption geschaffen wur­de.

Einige eingeladene Künstler, wie z.B. Imi Knoebel, haben übrigens nicht mitgemacht. Vielleicht, weil sie sich dem gigantischen Versuch, die sechziger Jahre ausstellungsmäßig zu bewältigen, entziehen woll­ten; vielleicht, weil sie sich nicht an dem allerorten florierenden Beuys-Kult beteiligen wollten? Wie dem auch sei – „Brennpunkt Düssel­dorf“ war ein streckenweise höchst spannendes und spannungsvolles Unternehmen - und zeigte zugleich, wie schwer es - leider - ist, die vollendete Vergangenheit noch ein­mal zum Leben zu erwecken.

Rezension der Ausstellung „Brennpunkt Düsseldorf“ im Kunstmuseum Düsseldorf, 24.5.-6.9.1987. In: In: Kunstforum International 91, Nov. 1987

 

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