Fischli / Weiß
„Die Welt in Gestalt von Bildern besitzen, heißt nichts anderes, als die Unwirklichkeit und Ferne des Realen aufs neue erfahren.“
(Susan Sontag)
Seit nunmehr fast sieben Jahren bemühen sich die beiden Schweizer Allroundtalente Peter Fischli und David Weiß unermüdlich um eine enzyklopädische Bestandsaufnahme der Welt - und verstricken sich immer wieder aufs neue heillos in dem Chaos, das ein solcher Versuch zwangsläufig produzieren muß. Gekrönt wurde dieser Versuch bislang von einem Mammutunternehmen mit dem Titel „Plötzlich diese Übersicht“. Verständlicherweise konnten die ca. 250 Tonskulpturen der Arbeit jedoch kaum halten, was ihr Titel versprach; und auch der Versuch, die Fragen, die die Welt bewegen, säuberlich in große („Wohin steuert die Galaxis?“) und kleine („Fährt noch ein Bus?“) zu unterscheiden, mußte fehlschlagen. Ihre erste gemeinsame Fotoarbeit entstand 1979: die »Wurstserie«. Aus Mortadellascheiben, Cornichons, Zigarettenkippen und anderen Lebens- und Genußmitteln bauten sie modellhaft Alltagssituationen wie z.B. „Im Teppichladen“ nach, wobei die Fotografien den verderblichen Statisten den Anschein von real agierenden Wesen verliehen. Auch für ihre jüngste Fotoserie „Stiller Nachmittag“ (der Titel verweist auf den spielerischen Müßiggang, der diese Arbeiten hervorbrachte) haben die beiden Künstler an und für sich unscheinbare Gegenstände des täglichen Gebrauchs - jeder für sich ein Beleg für die schnöde Funktionalität des „realen“ Lebens zu wahrhaft erstaunlichen Konstrukten zusammengefügt. Kartoffeln, Mohrrüben, Handfeger, Schubkarren und Autoreifen vollführen auf diese Fotos akrobatische Höchstleistungen, die uns nur noch aufgrund ihrer offensichtlichen fotografischen Dokumentierbarkeit überhaupt glaubhaft erscheinen. Küchenfreund auf Dessertteller auf Weinflasche auf Apfel auf Eierbecher, Suppenkelle und Zwiebelnetz als Gegengewicht, präsentieren einen zirkusreifen Balanceakt, dessen Titel „Natürliche Grazie“ stutzig macht. Denn „natürlich“ ist rein gar nichts an diesen durch und durch artifiziellen Gebilden, die ja gerade aus der Konfrontation abgründigster Banalität mit höchster Künstlichkeit einen Teil ihrer frappierenden Wirkung beziehen. Jeder einzelne Gegenstand trägt das Gleichgewicht der gesamten fragilen Konstruktion, und mit jedem weiteren Bauschritt verselbständigt sich ihr inneres Gesetz; der Künstler ist zum Schluß nur mehr Handlanger physikalischer Notwendigkeiten. Er spielt nicht, wie man das von Künstlern erwartet, mit Möglichkeiten, sondern handelt nach objektiven Zwängen. Allein mit den Mitteln der Fotografie kann er sich aus dieser Rolle des bloß Vollstreckenden befreien; die Möglichkeiten, mit denen die Fotografien spielen, sind jedoch eher intellektueller Natur. Sie zwingen den Betrachter, sich zu entscheiden. Lügen diese Bilder (das ist er von Fotos eigentlich nicht gewöhnt), oder soll er glauben, was sie zeigen? Ist so etwas überhaupt möglich? Die Kamera liefert den Beweis, aber sie verschweigt die Lebensdauer der „Stolzen Köchin“ oder des „Warenhauskönigs“. Was in Wirklichkeit allenfalls für den Bruchteil eines Augenblicks möglich ist, macht sie dauerhaft und wahr - und wird somit zur größten Lüge. Selbst das labilste Konstrukt wird von ihr zum Standbild erklärt, das sogar unter der Last der Phrasen nicht zusammenbricht, mit dem die beiden Künstler es belegen. Auf ihrer permanenten, augenzwinkernd-naiven Suche nach verbindlichen Metaphern für die Phänomene dieser Welt wird ihnen der schlaffe Gummihandschuh zur „Sehnsucht“ und der Blecheimer zur „Erfüllung“. Und auch für Anekdotisches (»Frau Birne bringt ihrem Mann vor der Oper das frischgebügelte Hemd. Der Bub raucht.«) oder sogar neue (Wort-)Schöpfungen („Masturbine“) sind diese genialen Produkte nachmittäglicher Langeweile gut. Charakteristisch für die Arbeiten von Fischli/ Weiß ist ihre unerhörte Doppelbödigkeit, das trügerische Spiel, das sie mit den Dingen und deren bildhafter und sprachlicher Erfassung treiben. Der eigentümliche Witz der Fotografien entfaltet sich überhaupt erst auf der sprachlichen Ebene ihrer Titel. Sie sind poetisch, sachlich, symbolisch oder alles zugleich, doch sie vermögen nicht einzudringen in das eigentliche, bizarre Wesen dieser Dinge und ihrer Bilder. Ihr Verhältnis zu den Bildern entspricht demjenigen von Sprache und Bildern zur Wirklichkeit: Sie können sie wohl beschreiben, aber sie erfassen sie immer nur oberflächlich, phrasenhaft.
In: Kunstforum International 84/1986