Hassan Fathy

Architektur (nicht nur) für die Armen
Ausstellung im Institut der Arabischen Welt, Paris

Macht man sich von der Luxor-Fähre am westlichen Nilufer auf den Weg zu den Tälern der Könige und Königinnen, dann passiert man kurz hinter der großen Kreuzung am Kanal rechter Hand das Dorf „Neu-Qurna“. Von weitem wirkt es unscheinbar und ärmlich, genau wie all die anderen Dörfer in dieser Gegend. Und auch aus der Nähe erschließt sich nicht sofort sein besonderer Charakter, denn ganz bewusst hat sich sein Architekt an die hier übliche, herkömmliche ägyptische Bauweise gehalten: Lehmziegel, Kuppeln und ein elementarer, klarer Formenkanon bestimmen das Bild.

Eine Plakette an einem der Häuser am Dorfeingang informiert: Entworfen und erbaut wurde Neu-Qurna von dem wohl bedeutendsten Architekten, den Ägypten im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat: Hassan Fathy (1900-1989). Mit dem Schlagwort „Constructing with the people“ (Bauen mit der Bevölkerung) machte er sich weit über die Grenzen seines Landes hinaus einen wohlklingenden Namen als sozial engagierter und zugleich traditionsbewusster Baumeister. Über Hassan Fathy informierte jüngst eine Ausstellung im Institut du Monde Arabe in Paris (4.12.2002-2.2.2003), die anhand einer reichhaltigen Auswahl von Fotos, Plänen und Modellen durch dessen Lebens- und Berufsweg führte.

Hassan Fathy kam am 23.3.1900 in Alexandria zu Welt, als Kind einer wohlhabenden Landbesitzerfamilie nubischer Herkunft. Stets spielte die typisch nubische Dorfarchitektur eine wichtigere Rolle in seinem Werk als die modernen Einflüsse, die seinerzeit aus Europa und den USA auch nach Ägypten drangen. Einfache Materialien, landestypische und Bauformen, natürliche Klimatisierung und die Anpassung an die landschaftliche Umgebung – Wüsten und Oasen - gehören zu den wichtigsten Merkmalen des nubischen Baustils – und auch zur Architektur von Hassan Fathy.

Fathy studierte am Polytechnikum der Universität Kairo und schloss sein Studium 1926 als diplomierter Architekt ab. Der junge Mann verkehrte in kultivierten Kreisen und beherrschte die englische und französische Sprache. Nach einigen Jahren bei der Kairoer Stadtverwaltung trat er 1930 eine Dozentur an der dortigen Kunsthochschule an. Erste Entwürfe für Privatvillen, etwa 1934 für Al-Beyli in Beyla oder 1942 für Hamed Saïd in El-Marg bei Kairo, legten den Grundstein für seine fortan praktizierte, traditionelle Lehmarchitektur. 1946 beauftragte ihn die ägyptische Antikenverwaltung mit dem Bau des Dorfes Neu-Qurna bei Luxor - Fathys erstes öffentliches Projekt. Diesem lag der Plan zugrunde, die Bewohner des alten Qurna am Hügel von Scheich Abd-el-Qurna, unmittelbar über der Nekropole der Noblen und Beamten, aus- und umzusiedeln. In der rund 400 Jahre alten Ortschaft mit ihren von farbenfrohen „Hadsch“-Malereien gezierten Häusern kam es nicht selten vor, dass die Grabanlagen – immerhin weit über 400 wurden dort bis heute entdeckt - als Kühlkeller für Lebensmittel oder sogar als Wohnräume genutzt wurden; der Schwarzhandel mit antiken Fundstücken blühte und brachte manchem mittellosen Nilbauern einen willkommenen Nebenverdienst ein. „Rasul“ (Prophet) lautet die Bezeichnung für die einheimischen „Hobby-Archäologen“, die sich hier über Generationen an den illegal ergrabenen Funden bereicherten. Zugleich aber trugen die „Qurnavis“ auch wesentlich zur Aufspürung vieler Gräber bei. So verdankte man ihnen schon 1871 die Entdeckung des Verstecks bei Deir el-Bahari, wo die ausgelagerten Königsmumien seit dem Neuen Reich deponiert waren (vgl. hierzu auch: Detlef Hopp: Alt-Qurna verschwindet. In: Kemet 4/2001, S. 60-62).

Um die Ausgrabungsarbeiten ungehindert und vor allem unbeeinträchtigt von Grabräubern durchführen zu können, beschloss die Altertumsverwaltung in den vierziger Jahren erstmals die Räumung Alt-Qurnas und die Umsiedlung seiner Bewohner. Hassan Fathys neue Siedlung sollte ihnen ein komfortableres Zuhause bieten, als sie es zuvor hatten, und das zu äußerst kostengünstigen Baubedingungen. Er entwarf Neu-Qurna als eine in sich geschlossene Anlage, ausgestattet mit allen wichtigen Einrichtungen eines an den Bedürfnissen seiner Einwohner orientierten Wohnkomplexes: einer (Knaben!)-Schule (Abb. 1), einer Moschee, einem Theater, einem Versammlungsplatz und überdachten Marktarkaden. Die Wohnhäuser sind zu Blocks zusammengefasst, aber dennoch individuell für einzelne Familien konzipiert, deren eigene Ideen manchmal unmittelbar in die Entwürfe einflossen. Bogenförmige und kreisrunde Maueröffnungen mit Maschrabia-Vergitterung sorgen für die im hiesigen Klima überlebensnotwenige Ventilation der Wohn- und Arbeitsräume. Die Schule, ein hell getünchter einstöckiger Lehmbau mit Kuppeln und arabesken Bogenfenstern, befindet sich ein wenig außerhalb des Dorfes zwischen den Feldern.

Doch die meisten Menschen von Alt-Qurna widersetzten sich ihrer Aussiedlung, weil ihnen dadurch nicht nur der Profit aus den illegalen Ausgrabungen, sondern auch der Anschluss an den Massentourismus entgangen wäre, der sich damals bereits ankündigte. So ist Fathys neues Qurna heute ein unbewohntes Geisterdorf, das aber trotz des siedlungstechnischen Misserfolgs sein Renommee als Architekt maßgeblich begründete. Trotz zahlreicher nachfolgender Aktivitäten – mehr als einhundert Bauwerke umfaßt Fathys Lebenswerk - wurde Neu-Qurna zu seinem bekanntesten Projekt. 1969 gelangte es auch über Ägyptens Grenzen hinaus zu Popularität durch ein Buch, in dem Fathy seine humanistischen Grundsätze als Architekt zum Ausdruck bringt: „Architecture for the poor“. Keine zwei Menschen, so schrieb er darin, haben dieselben Wünsche und Ansprüche an ihren Lebensraum; alte, über Generationen gewachsene Siedlungsgebilde können diesem Individualismus gerecht werden; anonyme Mietskasernen hingegen ignorieren und nivellieren ihn. Deshalb obliege es dem Architekten, die Häuser der jeweiligen Familiengröße, ihrem Status, ihren persönlichen Vorstellungen etc. anzupassen, anstatt eine einzelne Wohneinheit tausendmal zu kopieren.

In den späten vierziger und fünfziger Jahren entstanden nach seinen Plänen Privat- und Geschäftshäuser sowie Werkstätten und öffentliche Gebäude an vielen Orten Ägyptens. In Zagazig baute Fathy 1948 einen Großbauernhof für Raymond Eid und seine Familie, in Quena entstand 1950 – im Auftrag der Jesuitenmission - ein Kultur- und Gesundheitszentrum mit angeschlossener Keramikfabrik. Für die Antikenverwaltung in Luxor errichtete er, ebenfalls 1950, das sogenannte „Stopplaere“-Haus, benannt nach dem damaligen belgischen Chefrestaurator Dr. Alexander Stopplaere. Von 1949 bis 1952 leitete Hassan Fathy die Abteilung des ägyptischen Erziehungsministeriums für die Errichtung von Schulen, ein Posten, für den er sich mit seinem Bau der „Boys’ School“ von Neu-Qurna qualifiziert hatte. 1950 beriefen ihn die Vereinten Nationen als Berater für weltweite „Housing projects“ für Flüchtlinge.

Von 1953 bis 1957 unterrichtete er erneut an der Kunsthochschule Kairo, deren Abteilung für Architektur ihm 1954 unterstellt wurde. 1957 zog er für fünf Jahre nach Athen, wo er am Technischen Institut über „Klima und Architektur“ lehrte und an dem Pilotprojekt „Stadt der Zukunft“ teilnahm. Als Baumeister betätigte er sich aber auch weiterhin in seiner Heimat. So entstand 1960 in Assuan die Hochschule für Sozialanthropologie und Volkskunst. Zurück in Ägypten, wurde Hassan Fathy seit 1963 mit verschiedenen staatliche Aufträgen betraut, im sozialen Wohnungsbau – z.B. das Kooperative Nachbarschaftsprojekt „New Baris“ in der Oase Charga 1970 - ebenso wie im touristischen Bereich. Parallel leitete Hassan Fathy als freier Architekt eine Vielzahl privater Bauprojekte. Immer stärker wuchs die Nachfrage nach seinen Entwürfen nun auch im Ausland. So errichtete er 1973 eine mehrstöckige Luxus-Villa mit Pool für die wohlhabende Familie Abdul Rahman Nassief in Jeddah, Saudi-Arabien. Als Baumaterial benutzte er die Steine eines verfallenes Turmes aus der Altstadt. 1974 beauftragte ihn der Sultan von Oman mit dem Wiederaufbau des abgebrannten Souks von Sohar. Aus einer Art „Laden-Modul“ entwarf Fathy einen mit dreieckigen, aus Dattelpalmwedeln geflochtenen „Barasti“-Matten überschattenen Marktplatz, den seine unmittelbare Nähe zum Meer als eine Flotte von Segelbooten erscheinen läßt. Bauprojekte in Irak, Sudan, Indien, Jordanien, Kuwait, Libanon, Niger, Oman, Palästina oder Tunesien machten Fathy vor allem im arabischen Raum bekannt. 1980 erhielt er den renommierten Sonderpreis der äygptischen „Aga Khan“-Stiftung für Architektur. Doch auch in den USA kennt man seinen Namen spätestens seit 1981, als er in Abiquiu, New Mexico, den Auftrag erhielt, ein Dorf für die rund 150 Familien einer muslimische Gemeinde zu errichten. Die hier im Süden der USA praktizierte, von den Indianern überlieferte Adobe-Pueblo-Lehmbauweise kam Fathys eigener Architektur sehr entgegen. Ein Trupp extra aus Oberägypten eingeflogener, nubischer Steinmetze unterwies die künftigen Dorfbewohner in den alten Techniken des Bogen- und Kuppelbaus; in Gemeinschaftsarbeit entstand auf elf Quadratmeilen ein originales Hassan-Fathy-Dorf mitten in der nordamerikanischen Wüste: Dar al-Islam.

Zu seinen letzten großen Projekten zählte eine Villa für Khalil Talhouni in Shouna, Jordanien. Die großzügig angelegte Residenz besteht aus Haupthaus, Gästehaus, Indoor-Pool und Pferdeställen, die sich locker um schattige, palmenbewachsene Innenhöfe gruppieren. Fertiggestellt wurde die Luxusanlage 1990, im Jahr nach Fathys Tod am 30. 11.1989.

Hassan Fathy widmete einen großen Teil seines architektonischen Werks den unterprivilegierten Bevölkerungsschichten Ägyptens und anderer Länder der Dritten Welt. Sein Beispiel zeigt, dass es möglich ist, natürliche, traditionelle Architektur mit minimalen Baukosten und einer merklichen Verbesserung des Lebensstandards sinn- und geschmackvoll zu verbinden. Seine ebenso einfachen wie effektiven Klimasysteme oder seine Einbeziehung überlieferter kunsthandwerklicher Techniken machten ihn aber auch zu einem begehrten Architekten bei den wohlhabenden Eliten Ägyptens und im arabischen Raum. Hassan Fathy - ein Achitekt für Arm und Reich. Wer die Ausstellung in Paris versäumt hat, kann sich anhand hunderter von Fotos und Baubeschreibungen im Internet ein eindrucksvolles Bild von seinem Lebenswerks machen:
http://archnet.org/library/parties/one-party.tcl?party_id=1

Neuere Literatur zu Hassan Fathy existiert leider nur auf Englisch:

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