Ablas goldene Insel


Dahab ist arabisch und heißt „Gold“. Dahab ist auch der Name der Nilinsel, auf der der Künstler Mohamed Abla ein kleines, halb zerfallenes Bauernhaus zum bescheidenen Wohnatelier umgebaut hat, um zusammen mit seiner Familie mitten im 16-Millionen-Moloch Kairo eine Fluchtburg vor Krach, Gestank und Hitzestau zu sichern. Zwar kann man dem Gehupe und Gekreische nie ganz entfliehen, doch schon auf dem maroden Bötchen, das alle zehn Minuten die paar Meter zur Goldinsel übersetzt (Anleger gleich hinter Dr. Ragab’s Pharaonic Village), weht einem die idyllisch-beschauliche Atmosphäre dieses garantiert autofreien, da nur zu Wasser erreichbaren „locus amoenus“ sanft entgegen.


In Ablas Garten gedeihen Feigen und Tomaten, und manchmal klettern Nachbars Ziegen über den Zaun. Die Bank vor dem Haus bietet Schatten und Raum für Gespräche bei Tee und Shisha; im luftigen Hochatelier lässt sich auch bei knapp vierzig Grad noch einigermaßen klar denken. Mit einem Wort: ein kleines Paradies.

Im Laufe der vergangenen Jahre ist Dahab für den 1953 bei Mansura im Delta geborenen Mohamed Abla zu einem Hauptmotiv auch in seiner Kunst geworden. Die zeitlose Ruhe und Gemächlichkeit des Alltags auf dieser ca. fünf Kilometer langen Enklave inmitten der Metropole faszinieren ihn ebenso wie das Leben der etwa 55.000 hier beheimateten Menschen, die zumeist als Kleinbauern arbeiten, um ihre Familien und Tiere mehr schlecht als recht - von selten mehr als DM 100,-- im Monat – zu ernähren.

Und trotzdem scheinen sie ihr Inseldasein zu genießen. Diesen Eindruck jedenfalls erwecken viele der Bilder, die Abla in diesem und im letzten Jahr geschaffen hat - Lobpreisungen und zugleich facettenreiche Reflektionen des Lebens auf Dahab, in Ägypten und im allgemeinen.

Reizvoll ist für ihn vor allem die inseltypische Situation, ganz von Wasser umgeben zu sein – zumal vom Wasser eines der schönsten und mächtigsten Ströme der Erde. Schon 1998 hatte Abla seinem Fluß eine Reihe von Zeichnungen und Collagen gewidmet, die aus ganz realen Objekten bestanden: nämlich aus den unverwüstlichen Plastikresten menschlicher Zivilisation, eigenhändig aus Schlamm und Bracke des als Kloake mißbrauchten Gewässers gefischt wie Fundstücke einer archäologischen Epoche.

Diesmal nun steht nicht die kranke Natur, sondern ihre Bewohner, die Menschen und Tiere der Insel, im Mittelpunkt, deren alltäglichen, gleichsam archetypischen Umgang mit dem Nil Abla in zahllosen Fotografien festhielt: Kinder, die schwimmen, toben und spielen; Jünglinge, die ihre Pferde und Esel tränken und kühlen. Frauen und Männer beim Fischen oder Baden. Im Hintergrund fällt der Blick oft auf eine Nil-Brücke, die auch als Gedankenbrücke dient zur Metropole, deren Hektik das Eiland umtost.

Ablas derzeit bevorzugtes künstlerisches Medium ist die Graphik, sofern man darunter alle – auch noch so experimentellen - Techniken versteht, Papier mit Farben zu bezeichnen, bemalen, bedecken und bedrucken. Ablas handwerkliches Repertoire ist breitgefächert, und besonders interessiert es ihn neuerdings, möglichst viele graphische Verfahrensweisen und deren spezielle Wirkungen und Farbeffekte miteinander zu verbinden. Ausgangspunkt ist dabei fast immer die Fotografie, die ihm Anregungen, aber auch erstes Bildmaterial für seine Graphik-Collagen liefert. Die Fotos stehen als fixierte Momentbeobachtungen am Anfang einer zuweilen langen künstlerischen Prozedur, die solch ein Bild durchläuft. Zugleich geben sie auch die Thematik der jeweiligen Werkgruppe vor. Waren dies in einer früheren Phase z.B. alte und moderne Porträtaufnahmen ägyptischer Brautpaare, so sind es nun eigene Fotografien der Insel, die Abla seinen Blättern im wahrsten Sinne des Wortes „zugrunde“ legt, denn im nachfolgenden Arbeitsprozess werden diese dann teilweise wieder zugedeckt von weiteren Druckvorgängen, bis ein vielschichtiges, komplexes Ensemble aus unterschiedlichsten Bildelementen entsteht.

Mit einer speziellen Fotoetching-Methode überträgt Abla seine Vorlagen per Messingplatte und Druckerpresse - spiegelverkehrt – auf Papierbögen von teilweise sehr großen Formaten und beginnt dann, sie mit Motiven aus anderen Kontexten zu überdrucken und zu überlagern. Selten werden die Bilder dabei ganz zugedeckt, denn der Farbauftrag ist eher spröde und durchscheinend, so dass am Ende des Entstehungsprozesses die Motive einander zu durchdringen scheinen wie Erinnerungs- oder Traumbilder. Seine Sujets entnimmt Abla mal aus dem Fundus eigener, älterer Werke, mal verarbeitet er fremde Bildquellen. Immer aber repräsentieren sie Ausschnitte aus der ägyptischen Kultur zwischen Tradition und Gegenwart. So entdeckte er etwa auf prähistorischen Felszeichnungen punktierte, seltsam unbeholfen wirkende Figuren, die er zunächst in Radierungen übertrug, welche sich nun in seinen neuen Blättern wiederfinden; ähnlich verfuhr er mit den typischen Bildmustern der koptischen Textilkunst, die man z.B. im koptischen Museum in Old Cairo bewundern kann. Und natürlich gibt es vielerlei Reminiszenzen an die klassische pharaonische Epoche seines Landes. Doch auch aktuelle Fotos und Artikel aus der Tageszeitung finden zuweilen Eingang in diese phantasievollen Kompositionen, ebenso wie die volkstümliche Symbolik von Spielkarten. Denn Kunst, so Mohamed Abla, ist für ihn immer auch ein spielerisches Experiment. Weil aber der Künstler selbst der Dreh- und Angelpunkt seiner vielfältig verarbeiteten Erfahrungen ist, hat er wiederholt fotografische Porträts seiner eigenen Person in diese Arbeiten integriert.

Eine wichtige bildnerische Aufgabe der jüngsten Zeit besteht für ihn in der stärkeren Einarbeitung des farblichen Elements in seine anfangs noch eher vom fotografischen Schwarzweiß geprägten Werke. So blendet er stellenweise farbige Ebenen über seine Fotos oder Druckmotive, die die Kompositionen zu harmonischen Farbklängen verschmelzen; die berückende Atmosphäre der Insel im Morgen- oder Abendlicht überträgt sich hier unmittelbar auf die Stimmung des Betrachters.

Doch das Paradies ist in Gefahr: Im Mai verkündete die Regierung, dass sie die Bewohner von Dahab umzusiedeln und die Insel für ein sogenanntes „development project“ zur Verfügung zu stellen gedenke; von Touristendorf oder teuren Wohnparks war die Rede – auf jeden Fall „a project of general interest“, wie Premierminister Atef Ebeid vollmundig verkündete. Wütende und verzweifelte Proteste der Bewohner waren die unmittelbare Folge, an denen sich auch Abla vehement beteiligte. Selbst Ägyptens berühmtester Filmemacher, Yussuf Chahine, trat für die Sache der Insulaner ein und verglich das Vorgehen der Regierung gar mit der Vertreibungspolitik des verhassten Ariel Sharon. Leider ist kaum damit zu rechnen, dass sich bettelarme Bauernfamilien und eine Handvoll Künstler und Intellektuelle auf Dauer gegen die kommerziellen Interessen der Immobilienmakler werden durchsetzen können. Wird man sich in ein paar Jahren nur noch anhand der Fotos und Graphikcollagen Mohamed Ablas an die einstige grüne Oase Kairos erinnern? Dann würde sein eigentlich so lebensfroher Dahab-Zyklus unfreiwillig zum melancholischen Abgesang.
 
In: Mohamed Abla: Nilboote. Ausstellungskatalog Galerie Glashaus, Holle (Oktober 2001)

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