Kunstmetropole Kairo?

Zur achten Internationalen Biennale in der ägyptischen Hauptstadt

Ägypten – Reich der Geschichte. Große Kulturepochen habe hier auf ewig ihre Zeichen gesetzt. Ist von ägyptischer Kunst die Rede, so sehen wir vor unserem geistigen Auge Grabmalereien aus Theben West, Reliefs aus Sakkara oder Skulpturen aus Tell-El-Amarna. Wer aber dächte bei diesem Stichwort an Kunstwerke, die im heutigen Ägypten entstehen, geschaffen von jungen hiesigen Künstlerinnen und Künstlern?

Tatsächlich ist die Kunstszene in Ägypten derzeit sehr lebendig; in den traditionellen Zentren haben sich ägyptische Künstler niedergelassen und zum Teil auch institutionell etabliert. Sie präsentieren die ägyptische Kunst von heute als eine spannende und originäre Mischung aus tradierten Vorgaben und vielfältigen modernen Darstellungsformen.

Vier Kunstakademien zeugen in Kairo, Alexandria, El Minya und Luxor von dem offiziellen Bestreben, das künstlerische Studium im ägyptischen Bildungssystem zu verankern. Kairo ist – nicht anders zu erwarten beim herrschenden Zentralismus - auch auf dem Gebiet der Kunst führend, und zwar nicht nur in der Ausbildung von Künstlern. Aktuelle Ausstellung finden vorwiegend in der Hauptstadt, und hier wiederum zumeist auf der Nilinsel Gezira statt. Zentrum der Künste ist das Operngelände mit dem Museum für moderne Kunst und dem Kunstpalast. In Zamalek, ebenfalls auf Gezira, befindet sich auch das Echnaton Kunstzentrum, eines der führenden Institute der Stadt für die moderne und aktuelle Kunst.

Seit einigen Jahren wächst in Kairo auch die Reihe der  kommerziellen Ausstellungsmöglichkeiten für ägyptische sowie internationale Gegenwartskünstler. Mittlerweile bieten etwa fünfzehn Galerien, die meisten davon im Downtown-Bezirk, ein lebendiges Bild vom aktuellen Kunstschaffen. Neben Einrichtungen europäischer Kulturinstitute wie dem Goethe-Institut sind vor allem die privaten Initiativen erwähnenswert, die derzeit in Kairo auf sich aufmerksam machen und am aktiven Kunstleben der Stadt mitwirken.

Besonders lebendig präsentiert sich die ägyptische Kunstszene alle zwei Jahre während der internationalen Biennale, die in diesem Jahr zum 8. Male stattfand (15.3.-15.5.) und im Reigen der Biennalen, die mittlerweile zwischen Ain Hod und Kwnagiu, Sao Paulo und Johannesburg aus dem Boden schießen, somit bereits eine gewisse Tradition vorweisen kann. Wenn ihr Organisator, Ahmed Fouad Selim, Kairo als anläßlich der Eröffnung das Zentrum der Welt bezeichnete, dann hat er zumindest geographisch gesehen nicht ganz unrecht. Die Beteiligung von über 300 Künstlerinnen und Künstlern aus 50 Ländern macht die Veranstaltung auch quantitativ zu einem Ereignis, das vor allem vor dem Hintergrund des neuen, globalen Blicks auf Kunst und Kultur – welcher uns ja demnächst auch in Kassel durch den Documenta-Kommissar Onkwui Enwezor vorgeführt werden wird – durchaus Beachtung verdient. An sechs allesamt auf der Nilinsel Gezira gelegenen Ausstellungsorten  bot das künstlerische Spektrum der diesjährigen Biennale von traditioneller Skulptur und Malerei bis hin zu komplexen Medieninstallationen so ziemlich alles, was sich seit etwa einhundert Jahren unter dem Begriff der Kunst zusammenfassen läßt. Das Motto “Der Körper, der Geist und die Medien” wirkt dabei eher modisch und gibt ob seiner Undifferenziertheit und Beliebigkeit keine wirklich verbindliche Thematik vor.

Daß die Qualität der Beiträge angesichts diverser für europäische Augen eher undurchschaubarer politischer Querelen und Verpflichtungen nicht durchweg überzeugt, ist bei einer solchen Großveranstaltung wohl unvermeidbar. So gilt es z.B. als ungeschriebenes Gesetz der Rücksichtnahme auf die breit vertretenen Bruderstaaten der arabischen Liga, daß Israel noch nie zu einer Biennale eingeladen wurde. Andererseits bietet gerade der hohe Anteil von Kunstschaffenden aus den Golf-Staaten, Syrien, Pakistan oder dem Sudan Einblicke in Bild- und Gedankenwelten, die aus der westlichen Perspektive bisher selten als überhaupt existent wahrgenommen wurden.

Am stärksten beeindrucken diejenigen Arbeiten, die sich der neuen technischen Medien bedienen und diese in z.T. raumgreifenden Installationen unkonventionell kombinieren und inszenieren. Für den europäischen Betrachter sind vor allem solche – nicht-westlichen - Beiträge von Interesse, denen es gelingt, kulturelle und gesellschaftliche Traditionen und Positionen des je eigenen Landes mit künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden, die zwar dem Repertoire der Moderne entstammen, ohne aber dabei in epigonenhafter Imitation stecken zu bleiben.

Der Alexandriner Maler und Bildhauer Moataz El Safty setzt sich in seinem mehrteiligen skulpturalen Werk “Back to Civilization” mit den Ursprüngen der Kultur in seiner ägyptischen Heimat auseinander, an die er in Form von Stelen und Königsporträts erinnert. Der uralten pharaonischen Bildsprache entlockt er im zusammenspiel mit Chiffren aus aktuellen Sprachsystemen wie HTML oder JAVA  überraschende Präsenz und Aktualität.

Die Video-Installation des aus Kairo stammenden Moataz Nasser (MMK) - dem dafür der große Preis der diesjährigen Biennale zugesprochen wurde – besticht durch Klarheit und Originalität. “Ein Ohr aus Ton, das andere aus Teig” lautet ihr Titel: ein arabisches Sprichwort, das etwa unserem “zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus” entspricht. Schwarz-weiße, tonlose Filmaufnahmen zeigen ägyptische Zeitgenossen, die schulterzuckend oder mit anderen allgemeinmenschlichen Gesten ihr Unverständnis zum Ausdruck bringen; lautes Insektengesumme erfüllt den Raum, dessen Wände von ungezählten aus Ton geformten – tauben - Ohrenpaaren übersät sind. Für die weltweit verbreitete Unart, anderen nicht zuhören, sie nicht verstehen zu wollen, hat Moataz Nasser ein eindrucksvolles Raum-Bild geschaffen.

Die in Alexandria ansässige Reem Hassan (MMK) kritisiert in ihrer Installation “White freedom, black masses” die unerträgliche Leichtigkeit, mit der die sich beständig ausbreitende Kluft zwischen den armen und den reichen Gesellschaften dieser Erde sowie Kriege und Katastrophen trotz aller postmoderner Globalisierungs-Theorien – meistens mit hilflosem Achselzucken (!) - hingenommen werden. Weißen, perlenbesetzten Tüll als Symbol für Verschwendung und Luxus hat sie in Gitterkäfige gestopft, umringt werden diese von schwarz-weißen, grobkopierten Fotografien unterschiedlichster Provenienz, die allesamt von Unterdrückung und Elend erzählen und durch Schwälle schwarzer Farbe teilweise überlagert werden. Bewußt bedient sich die Künstlerin des Allgemeinplatzes der “schwarz-weiß-Malerei”, um ihr Anliegen zu verdeutlichen. –

Auch Fatma Ismail aus Kairo will mit ihrer knapp fünfminütigen Videoarbeit “Windows” (EG) die enormen Kontraste aufzeigen, die in ihrer Stadt auf engstem Raum einander gegenüberstehen. Dokumentarische Filmaufnahmen von einem experimentellen kunstpädagogischen Stadtteilprojekt in einem der ärmsten Viertel der Metropole ( Kom Ghourab) hat sie mit der abweisenden Stahl-Glas-Front eines jener gesichtslosen Konzern-Wolkenkratzer konfrontiert, wie sie die Großstädte dieser Erde verunzieren. Im Laufe des Films verschmilzt sie die Bilder miteinander einfühlsam und intelligent.

Zu den – allein schon formatbedingt – eindrucksvollsten Beiträgen zur Kairoer Ausstellung zählt der der Amerikanerin Judith Barry. Im idyllisch direkt am Nil gelegenen Garten des Echnaton Kunstzentrums hat sie einen monumantalen Kubus errichtet, dessen Inneres von einer Leinwand in zwei identische Hälften unterteilt wird, auf deren Vorder- und Rückseite sich zwei szenische Situationen abspielen. Leitmotiv ist der raumübergreifende akustische Reiz, der den Film-Protagonisten dazu treibt, die Wand seines Arbeitszimmers zu durchbrechen, um in das von mystischen Nebeln durchwaberte, von schönen Frauen bevölkerte Traumbild der anderen Seite einzudringen. Der Betrachter ist aufgefordert, ihm zu folgen und das Geschehen auf beiden Seiten gleichermaßen zu verfolgen.

Die Wiener Medienkünstlerin Eva Wohlgemuth hat mit einem Ganzkörperscanner jeden Quadratzentimeter ihrer eigenen äußeren Hülle in Computerdaten übertragen – zahllose Bögen mit endlosen Zahlenkolumnen sind dabei herausgekommen. Die digitale Transformation ihres eigenen Körpers hat sie wiederum  in den Rechner eingegeben und auf diesem Wege eine virtuelle Version  ihrer selbst erschaffen, die sich mittels computergraphischer Techniken beliebig bearbeiten läßt. Die Computerausdrucke bilden die “Tapete” ihrer Rauminstallation “Bodyscan”, in deren Zentrum der simulierte Körper, ausgestattet mit stets wechselnden Oberflächeneffekten, auf dem Monitor rotiert. Anläßlich der Vernissage an einem freuhsommerlich milden Märzabend traf man die Künstlerin im Gespräch mit zwei landestypisch in blütenweiße Gelabeias gehüllten Jünglingen aus Qatar. Wohlgemuths Versuch, diesen ihr künstlerisches Anliegen zu erläutern, endete in einem Computerfachgespräch – die beiden Herren vom Persischen Golf arbeiten hauptberuflich als Computerdesigner an – wie sie nicht müde wurden zu betonen – 500.000 US-$ teuren Megarechnern. In ihrer Freizeit widmen sie sich traditioneller Porträt- und Blumenmalerei im Stile des 19. Jahrhunderts. Auch ihre Werke sind auf der Kairoer Biennale ausgestellt (MMK). Diese Begegnung markiert in etwa die Pole, zwischen denen sich diese Ausstellung bewegt. Wichtiger noch als das reine Kunsterlebnis sind auf dieser Biennale vielleicht gerade solche Situationen des persönlichen Austauschs, die durch e-mail und www (noch) nicht zu ersetzen sind.

15.3. bis 15.5. 2001, täglich von 10-13.30 und von 17 bis 21 Uhr. Eintritt frei

Ausstellungsorte:

Kunstzentrum Echnaton-Galerie (EG), 1 El Ma’ahad Swissri St., Zamalek

Gezira Kunstzentrum Zamalek (unmittelbar neben dem Hintereingang des Marriott-Hotels)

Die folgenden Ausstellungsorte befinden sich auf dem Gelände der Neuen Oper, direkt hinter der Brücke Qasr El-Nil:

Museum für Moderne Kunst, Kunstpalast, Hanager-Galerie und Operngalerie

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